(CorA-News Juli 2021) – Im April 2020 hatte EU-Justizkommissar Didier Reynders angekündigt, im Rahmen der Initiative für nachhaltige Unternehmensführung einen Richtlinienvorschlag zu entwickeln, der sowohl die Sorgfaltspflichten von Unternehmen als auch Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmensleitungen regelt (s. CorA-Newsletter vom Sept. 2020). Vom 26.10.2020 bis zum 8.2.2021 fand dazu eine Konsultation mit sehr großer Beteiligung der Öffentlichkeit statt: über 800 Eingaben, über 470.000 Unterzeichner*innen für die Eingaben einiger zivilgesellschaftlicher Gruppen und fast 150 weitere Stellungnahmen zeigen, auf wie breites Interesse das Thema in der EU stößt. Seit dem Frühjahr ist die Weiterentwicklung des Richtlinienvorschlags, der eigentlich im Juni hatte vorgestellt werden sollten, jedoch ins Stocken geraten. Die Wirtschaftsverbände – die zum Teil das deutsche Lieferkettengesetz mit dem Argument abgelehnt hatten, dass es eine europäische Regelung brauche – wehren sich nun gegen die Rechtsetzung in der EU. Das Corporate Europe Observatory, die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) und Friends of the Earth Europe zeigen die massiven Lobbybemühungen der Wirtschaft in der Studie Off the Hook auf. Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton, der mittlerweile für den Vorschlag mitzuständig ist, bremst die fortschrittlichen Bemühungen des Justizkommissars aus, so dass mit der Veröffentlichung des Entwurfs nun nicht mehr vor Oktober zu rechnen ist. Bei den kontroversen Punkten handelt es sich großenteils um dieselben wie in Deutschland: Die Größe der zu erfassenden Unternehmen, umwelt- und klimabezogene Sorgfaltspflichten, inwieweit Unternehmen für die Missachtung ihrer Pflichten haften sollen, der Einbezug von nicht in der EU ansässigen Unternehmen. Auch die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmensleitungen (directors‘ duties) sind hoch umstritten.

Mittlerweile haben sich jedoch die Vorsitzenden von fünf Fraktionen des Europaparlaments (EPP, S&D, Renew, The Greens/EFA, GUE/NGL), die zusammen die große Mehrheit der Abgeordneten vertreten, in einem Schreiben an Kommissionspräsidentin von der Leyen gewandt und fordern darin, dass der Richtlinienentwurf die Vorschläge des Berichts des Parlaments vom März 2021 berücksichtigt. In diesem Legislativbericht zu Corporate due diligence and corporate accountability hatte das Parlament sich dafür ausgesprochen, dass neben allen großen Unternehmen auch die börsennotierten und die in Hochrisikosektoren tätigen kleinen und mittleren Unternehmen zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten verpflichtet werden und dies sowohl auf behördlichem Wege – mit Bußgeldern und dem Ausschluss von öffentlichen Aufträgen und anderweitiger staatlicher Unterstützung – als auch durch wirksame Haftungsregelungen durchgesetzt wird. Auch Vertreter*innen der konservativen EPP hatten dafür gestimmt. In einem Bericht zu Sustainable corporate governance vom Dezember 2020 hatte das Parlament zuvor schon detaillierte Vorschläge unterbreitet, wie Nachhaltigkeitsaspekte gegenüber der kurzfristigen Gewinnorientierung von Unternehmen gestärkt werden und Unternehmensleitungen entsprechende Pflichten auferlegt werden können.

Um die Transparenz über nichtfinanzielle Risiken von Unternehmen zu verbessern, überarbeitet die Europäische Kommission derzeit die CSR-Richtlinie von 2014. Einen Entwurf für die neue Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) legte die Kommission am 21.4.2021 vor. In seiner Stellungnahme zur Verbändeanhörung des Bundesjustizministeriums begrüßt das CorA-Netzwerk, dass von der neuen Richtlinie mehr Unternehmen erfasst werden und die Vorgaben für die Berichterstattung gestärkt werden sollen. Auch die in Aussicht gestellte verbindlichere Prüfung der Nachhaltigkeitsberichte stellt einen großen Fortschritt dar. Der Richtlinienvorschlag greift jedoch in einigen Punkten zu kurz. U. a. werden beim Anwendungsbereich nach wie vor weder alle großen Unternehmen noch alle kleinen und mittleren Unternehmen in risikoreichen Sektoren erfasst, obwohl die Auswirkungen auf Menschen und Umwelt unabhängig davon auftreten, welche Rechtsform ein Unternehmen hat. Zudem sind insbesondere die Vorgaben zur Berichterstattung über Menschenrechte und Wertschöpfungsketten unzureichend. Einen Vorschlag, wie diese konkretisiert werden können, hat die Alliance for Corporate Transparency in einem Positionspapier veröffentlicht, an dem auch CorA mitgearbeitet hat. Bei den bevorstehenden Verhandlungen über die neue Richtlinie sollte in diesen und weiteren Bereichen deutlich nachgebessert werden. Zudem sollte bei der Weiterentwicklung der Richtlinie großes Augenmerk darauf gerichtet werden, Kongruenz zur Festlegung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten herzustellen.

Unterdessen nehmen auch die Entwicklungen für weitere Rechtsetzung in den Mitgliedstaaten weiter zu (s. https://corporatejustice.org/wp-content/uploads/2021/06/ECCJ-mandatory-HREDD-map-June-2021.pdf). In der Schweiz war allerdings die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) nach einer beispiellosen Schmutzkampagne der Gegner*innen ganz knapp gescheitert. Zwar stimmte die Mehrheit der Bevölkerung für den Vorschlag der KVI für eine Verfassungsänderung, der die Regierung zur Einführung von Sorgfaltspflichten und zivilrechtlicher Haftung verpflichtet hätte. Doch verfehlte die Initiative das zweite Quorum, die Zustimmung in der Mehrheit der Kantone: vor allem in etlichen kleineren deutschsprachigen Kantonen setzten sich die Gegner*innen durch. So tritt nun der zuvor im Parlament beschlossene Gegenvorschlag in Kraft, der einige Unternehmen zu Sorgfaltsprüfungen in Bezug auf ausgewählte Themen wie Kinderarbeit und Konfliktrohstoffe verpflichtet.

In Norwegen beschloss am 10.6.2021 das Parlament das Gesetz über Unternehmenstransparenz und Arbeit an grundlegenden Menschenrechten und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen, das Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden und bestimmtem Umsatz / Jahresbilanz dazu verpflichtet, ihre menschenrechtlichen Risiken zu untersuchen, ihnen zu begegnen und ggf. Wiedergutmachung zu gewähren. Die Unternehmen müssen darüber berichten und die Verbraucherschutzbehörde kann bei Verstößen Bußgelder verhängen.

Auch in Österreich, Belgien und den Niederlanden liegen Vorschläge des Parlaments für Sorgfaltspflichtengesetze vor. In Finnland, Luxemburg und den Niederlanden haben die Regierungen angekündigt, entsprechende Gesetze zu entwickeln. Auch ein bahnbrechendes niederländisches Gerichtsurteil, das den Shell-Konzern anweist, seine Kohlenstoffemissionen bis 2030 um 45 % gegenüber 1990 zu reduzieren, stärkt die Forderung nach verbindlichen Sorgfaltspflichten: Das Gericht bezog sich explizit auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, um die Pflicht von Shell, eine entsprechende Unternehmenspolicy zu entwickeln, zu begründen.

Heike Drillisch (CorA-Netzwerk)