(CorA-News Juli 2021) – Branchendialoge sind als Multistakeholder-Initiativen (MSI) Teil der im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) vorgesehenen Unterstützungsleistungen für Unternehmen. Unter Beteiligung verschiedener Akteursgruppen sollen branchenspezifische Handlungsanleitungen und Best-Practice-Beispiele zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten erarbeitet werden. Durch die Umsetzung unternehmensübergreifender und kollektiver Maßnahmen können die Branchendialoge das Sorgfaltspflichtengesetz sinnvoll ergänzen. Mitgliedsunternehmen der Branchendialoge werden hierdurch jedoch nicht von ihren individuellen Sorgfaltspflichten und deren Umsetzung befreit.

Aktuelle und künftige Branchendialoge der Bundesregierung richten sich an die relevanten Risikobranchen der deutschen Wirtschaft, die im Rahmen der NAP-Risikostudie identifiziert wurden. An der Kommentierung der Studie haben sich 2019 auch Mitgliedsorganisationen des CorA-Netzwerkes intensiv beteiligt und eine entsprechende Stellungnahme dazu verfasst. Die identifizierten Fokusbranchen bieten nach Meinung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) aus menschenrechtlicher und volkswirtschaftlicher Sicht einen besonders guten Hebel zur Verbesserung der Bedingungen entlang von Liefer- und Wertschöpfungsketten. Bislang wurde nur der Dialog mit der Automobilbranche auf Betreiben der großen deutschen Autohersteller erfolgreich in die Wege geleitet. Zudem befindet sich ein Dialog mit der Maschinen- und Anlagenbauindustrie in Vorbereitung.

Seit Februar 2020 beteiligen sich fünf zivilgesellschaftliche Organisationen am Branchendialog Automobil. In diesem arbeiten Automobilhersteller, -zulieferer, Wirtschaftsverbände und Akteure der Bundesregierung sowie Vertreter*innen von DGB, verdi und dem Deutschen Institut für Menschenrechte mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen Germanwatch, INKOTA, SÜDWIND, Transparency International Deutschland und WEED zusammen. Im November haben die zivilgesellschaftlichen Mitgliedsorganisationen gemeinsam mit weiteren unterstützenden Organisationen in einer gemeinsamen Stellungnahme ihre Forderungen an den Dialog kommuniziert. Sie betonen darin, dass der Automobildialog neben dem dringend notwendigen Umbau hin zu klima- und umweltschonenden Verkehrssystemen, der absoluten Reduktion des Rohstoffverbrauchs der Automobilindustrie und der Einführung verbindlicher Sorgfaltspflichten durch ein Lieferkettengesetz nur einer von vielen Bausteinen sein kann.

Aus zivilgesellschaftlicher Sicht ist klar, dass die Stärkung der Unternehmensverantwortung für Umwelt und Menschenrechte primär durch staatliche Regulierung erfolgen muss. Dialogprozesse, die auf Leitlinien oder freiwillige Verhaltenskodizes von Unternehmen abzielen, können rechtliche Instrumentarien bestenfalls ergänzen und sind kein Ersatz für verbindliche nationale und internationale Regelungen zur Unternehmensverantwortung. Dies ist unter anderem auf bekannte Beschränkungen von MSI zurückzuführen, wie fehlende Sanktionsmechanismen, den hohen Aufwand im Verhältnis zum meist geringen Anspruchsniveau sowie der fehlenden Politikkohärenz. MSI können durchaus eine sinnvolle Ergänzung zu regulatorischen Maßnahmen darstellen, indem beispielsweise Unternehmensaktivitäten gebündelt werden und so der Einflussbereich von Einzelunternehmen erweitert wird. Um diese Chance zu realisieren und eine positive Wirkung zu entfalten, müssen MSI jedoch unter anderem gut vorbereitet werden, verbindliche Ziele festlegen sowie kontinuierlich die Perspektive der Rechteinhaber*innen in Design und Umsetzung der MSI-Maßnahmen berücksichtigen. Insbesondere beim letzten Punkt schwächeln bekannte MSI bislang, da in der Regel keine Strukturen für einen systematischen Informations- und Wissensaustausch mit Betroffenen und Rechteinhaber*innen entlang der Liefer- und Wertschöpfungskette geschaffen werden. Stattdessen beschränkt sich die Beteiligung der Rechteinhaber*innen häufig auf punktuelle Inputs und lokal begrenzte Kooperationsprojekte. Eine wichtige Forderung der Nichtregierungsorganisationen im Automobildialog ist daher, die Wirkungen der Sorgfaltsmaßnahmen auf die Rechteinhaber*innen in der tieferen Lieferkette messbar zu machen. Die tatsächliche Wirkung vor Ort muss die Messlatte für alle unternehmerischen Aktivitäten sein und angemessene Sorgfaltsmaßnahmen dürfen sich nicht – wie derzeit oft – nur auf die unmittelbar vorgelagerten Zulieferer beschränken.

Weitere Anforderungen an wirkungsvolle Multi-Stakeholder-Initiativen hat das CorA-Netzwerk im Rahmen des gemeinsamen Positionspapieres mit dem Forum Menschenrechte und VENRO aufgearbeitet, das unter dem Titel Effective multi-stakeholder initiatives: recommendations from the perspective of civil society auch auf Englisch vorliegt. Eine Beteiligung der Zivilgesellschaft an weiteren Branchendialogen, darunter dem des Maschinen- und Anlagenbaus, hängt von der wirkungsorientierten Gestaltung und dem Ambitionsniveau künftiger Dialoge ab. Aber auch die stetig wachsende Anzahl von MSI-Formaten stellt die Zivilgesellschaft mit Blick auf ihre eigenen Kapazitätsgrenzen vor große Herausforderungen.

Insbesondere stellt sich nach Verabschiedung des Lieferkettengesetzes die Frage, inwieweit die beteiligten Wirtschaftsvertreter*innen die Branchendialoge als reines Umsetzungsinstrument für das Gesetz ansehen oder bereit sind, darüber hinaus zu gehen. Für die Organisationen des CorA-Netzwerks ist klar, dass nur Branchendialoge den Aufwand rechtfertigen, die sich an den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte orientieren und nicht an den begrenzten Vorschriften des Lieferkettengesetzes.

Rebecca Heinz (Germanwatch)