Mitte Dezember hatte die EU-Kommission ihren ursprünglich für Juni angekündigten Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz vorstellen wollen. Am 30. November sickerte dann durch, dass sich der Vorschlag erneut verschiebt. Grund dafür ist ein negatives Votum des Ausschusses für Regulierungskontrolle, eines siebenköpfigen Gremiums der EU, das über sich schreibt, es „unterstütz[e] die Kommission bei Folgenabschätzungen und Evaluierungen im Frühstadium des Gesetzgebungsprozesses“. Durch sein neuerliches „rotes Licht“ für den Regulierungsvorschlag (nach einer ersten negativen Stellungnahme im Mai 2021) droht nun jedoch eine Blockade des Vorhabens. Ein breites europäisches Bündnis, darunter das CorA-Netzwerk und die Initiative Lieferkettengesetz, hat sich daher in einem offenen Brief an Kommissionspräsidentin von der Leyen gewandt und sie aufgefordert, sich hinter das EU-Lieferkettengesetz zu stellen und rasch den Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz vorzulegen. Gleichzeitig fordern sie, den Gesetzgebungsprozess transparenter zu gestalten. Denn die Stellungnahmen des Ausschusses bleiben unter Verschluss, bis eine Gesetzesinitiative von der Kommission verabschiedet worden ist. So kursieren über die Gründe für die negative Stellungnahme nur Gerüchte und eine öffentliche Auseinandersetzung damit ist nicht möglich. Ebenso herrscht Unklarheit, wie es nun weitergeht. Nachdem die Initiative erst komplett von der Tagesordnung der Kommission für 2022 verschwunden war, tauchte sie danach wieder für Ende März oder sogar Mitte Februar auf. Auf der Website der EU zur Initiative Nachhaltige Unternehmensführung findet sich noch immer der Eintrag, dass die Annahme durch die Kommission für das vierte Quartal 2021 geplant sei.

In ihrer Pressemitteilung zu der erneuten Verschiebung des Gesetzesvorschlags und dem offenen Brief an die Kommissionspräsidentin fordern die Initiative Lieferkettengesetz und das CorA-Netzwerk auch die neue Bundesregierung auf, ihrem Versprechen im Koalitionsvertrag Taten folgen zu lassen und sich für eine zügige Fertigstellung des Kommissionsentwurfs einzusetzen.

In den Niederlanden zog unterdessen der Außenhandelsminister Tom de Bruijn bereits Konsequenzen aus der neuerlichen Verschiebung des EU-Lieferkettengesetzes: um keine weitere Zeit zu verlieren, will er nun ein eigenes niederländisches Lieferkettengesetz ausarbeiten.

Heike Drillisch (CorA-Netzwerk)

In einem anderen Bereich schreitet die EU weniger zögerlich voran: am 17.11.2021 legte die Kommission einen Gesetzesvorschlag für entwaldungsfreie Lieferketten vor, der zukünftig verhindern soll, dass Produkte aus Waldzerstörung auf den EU-Binnenmarkt gelangen. Europa ist Vizeweltmeister der Waldzerstörung – zu dem Schluss kam eine WWF-Studie Anfang des Jahres. Für 16 Prozent der globalen Tropenwaldabholzung und Naturzerstörung ist die EU demnach verantwortlich, mehr als Indien oder die USA. Der Grund: Die EU importiert viele Rohstoffe, die zum Beispiel in Brasilien, Indonesien, Paraguay oder Argentinien zur Waldzerstörung beitragen. Dazu gehören Soja, Palmöl, aber auch Rindfleisch, Holzprodukte, Kakao oder Kaffee. Neben dieser “importierten Entwaldung” landen auch Produkte aus Waldzerstörung und riesigen Kahlschlägen in der EU, beispielsweise in Schweden, Finnland, Rumänien und Polen, auf dem EU-Binnenmarkt.

Anders als bei der Corporate Sustainable Governance-Initiative verfolgt die EU beim Gesetzesvorhaben für entwaldungsfreie Lieferketten einen produktbezogenen Ansatz: Bestimmte kritische Produkte, die mit der Zerstörung von Wäldern oder bestimmen Ökosystemen in Verbindung stehen, sollen nur dann auf den EU-Binnenmarkt gelangen, wenn sie bestimme Kriterien erfüllen. Umweltorganisationen fordern, dass zumindest Soja, Palmöl, Kautschuk, Rindfleisch, Leder, Geflügel, Kaffee, Kakao, Holz und Mais zu diesen „kritischen Produkten“ zählen müssen.

Unternehmen, die kritische Produkte in der EU verkaufen oder handeln wollen, müssen in Zukunft vor Markteintritt nachweisen, dass sie ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen sind und ihr Produkt nicht zur Entwaldung beigetragen hat. Dazu müssen sie ein Risikomanagement einführen und eine Sorgfaltserklärung gegenüber der Behörde abgeben. Die Forderungen europäischer Umweltorganisationen zu diesem Prozess sind in diesem Positionspapier zusammengefasst.

Der Gesetzesentwurf der EU-Kommission ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch nach Einschätzung vieler Umweltorganisationen reicht er in dieser Form nicht aus, um Wälder und andere Ökosysteme wirksam zu schützen. So bleiben bestimmte bedrohte Naturräume außen vor, zum Beispiel die Savannenwälder im brasilianischen Cerrado. Auch wertet der Entwurf anders als zunächst geplant Kautschuk nicht als “kritisch” – ein Produkt, das die europäische Autoindustrie viel verwendet. Dabei steht Kautschuk insbesondere in Ländern wie Kamerun mit Waldzerstörung und der Vertreibung von Indigenen in Verbindung. Die EU-Kommission hat ihren Entwurf auf den letzten Metern also noch abgeschwächt. An diesen Stellen besteht dringender Nachbesserungsbedarf.

Gekürzte Fassung der Analyse Keine Waldzerstörung, keine Ausbeutung in Lieferketten: Wie die beiden aktuellen EU-Vorhaben zusammenhängen, die Johannes Heeg und Julia Otten für die Initiative Lieferkettengesetz verfasst haben.