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Ein Beitrag von Luca Schiewe, Facing Finance

 

Seit einiger Zeit lässt sich am Finanzsektor ein Backlash gegen Nachhaltigkeit beobachten: Vermögensverwalter verlassen Klimainitiativen, Banken verwässern ihre Richtlinien für Rüstung, Öl und Gas und die Politik schafft unter erheblichem Lobbydruck weitreichende Ausnahmen für Finanzunternehmen, wenn es um die unternehmerischen Achtungspflichten für Menschenrechte geht.

Ein Beispiel dafür sind ESG-Fonds, die neuerdings in Rüstung investieren. In Deutschland schlossen nachhaltig gelabelte Fonds Waffen früher aus. Zwar waren bereits vor dem Ukrainekrieg 2022 in manchen „nachhaltigen“ Fonds Rüstungsproduzenten vertreten – aber nur solange deren Rüstungsumsatz unter 10 Prozent lag. Seitdem sind die Investitionen europäischer ESG-Fonds in Rüstung rasant gestiegen. Inzwischen investieren über zwei Drittel solcher Fonds in reine Waffenhersteller.

Aus der Tabuzone: Politik macht Rüstung ESG-tauglich

Die Politik unterstützt diese Entwicklung. Die EU-Verteidigungsstrategie 2024 und die Bundesregierung nennen Rüstung „nachhaltig“. Eine neue Leitlinie der EU-Aufsichtsbehörde ESMA erlaubt ESG-Fonds Investitionen in Rüstungsfirmen, solange diese keine geächteten Waffen – Landminen, Streubomben, Bio- und Chemiewaffen – herstellen. Daraufhin hob der Verband der deutschen Fondsanbieter die bisherige Umsatzgrenze für Rüstung in ESG-Fonds auf. Lobby-Kampagnen wie „Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit“ begleiten den Imagewechsel.

Gleichzeitig wurde der Entwurf für eine Soziale Taxonomie, ein von der EU geplanter Katalog sozialer Wirtschaftsaktivitäten, der Rüstung als nicht nachhaltig eingestuft hätte, beerdigt.

Die Mythen der Rüstungslobby

Befeuert werden diese politischen Entwicklungen von der Rüstungslobby. Doch ihre zentralen Behauptungen sind Mythen:

Mythos 1:Ohne ESG-Fonds können sich Rüstungsfirmen schwer finanzieren.
→ Rüstungsfirmen finanzieren sich über Staatsaufträge, Bankkredite und Anleiheverkäufe. Finanzierungen waren bei fast allen Finanzinstituten stets verfügbar. Nur Hersteller geächteter Waffen wurden tatsächlich aus ESG-Gründen häufig ausgeschlossen. Hinzu kommt, dass ESG-Fonds nur Aktien am Sekundärmarkt kaufen, wobei die entsprechenden Firmen kein Geld erhalten.

Mythos 2: „Rüstung ist nachhaltig, weil sie europäische Demokratien schützt.“
→ Die ExitArms-Datenbank zeigt: Europäische Rüstungsproduzenten exportieren regelmäßig in völkerrechtswidrige Kriege. Da Finanzinstitute nicht vorschreiben, dass Rüstungsfirmen für die EU-Landesverteidigung produzieren sollen statt für Kriege und Menschenrechtsverletzungen weltweit, ist ihre Argumentation unglaubwürdig.

Die Faire-Fonds-Datenbank zeigt, was passiert wenn ESG-Fonds beginnen, in Rüstung zu investieren: Fonds wie der Amundi CAC 40 ESG UCITS ETF investieren in Airbus, Safran und Thales – alle liefern Waffen an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten wie Ägypten, Irak, Israel, Katar, Saudi-Arabien, Türkei, VAE, Venezuela. Auch der Debeka-Aktien-Global-ESG investiert in Airbus, sowie in Eaton, GE Aerospace und Honeywell, die Rüstungsgüter in Kriege weltweit exportieren: Gaza, Jemen, Libyen, Nigeria, Sudan, Syrien.

Hinter dem ESG-Schwenk stehen vermutlich eher Renditeerwartungen aufgrund staatlicher Aufrüstungspläne: Rüstungsaktien boomen seit 2022. Einige Fondsanbieter wie UBS, Allianz Global Investors oder die Deutsche Bank Tochter DWS folgen diesem Trend. Ein paar kleine nachhaltig ausgerichtete Fondsanbieter schließen Rüstung dagegen weiterhin aus oder setzen sich bei Rüstungsfirmen als aktive Aktionäre gegen Exporte an autoritäre Regime ein.

Menschenrechtliche Risikoanalyse? Fehlanzeige

Für die meisten Finanzinstitute – auch solche mit dezidierter Nachhaltigkeitsstrategie – sind Menschenrechte jedoch ein blinder Fleck. Bei der ESG-Bewertung prüfen sie nur, was ein Rüstungsunternehmen produziert (konventionelle oder geächtete Waffen) und wie es produziert (z.B. CO2-Ausstoß) – aber nicht, an wen es liefert. Dabei wäre das entscheidend, um menschenrechtliche Risiken (z.B. völkerrechtswidrige Kriege, Kriegsverbrechen, Unrechtsregime) im Einklang mit internationalen Standards zu prüfen. Tatsächlich liefern die allermeisten börsennotierten Rüstungsfirmen Waffen für Diktatoren und Angriffskriege.

ESG-Fonds hatten schon vorher ein Glaubwürdigkeits-Problem. Rüstung als nachhaltig zu labeln, verschärft das bestehende Problem von Greenwashing, irreführenden Labels und der Kluft zwischen Erwartung der Anleger und Realität. Dass Menschen einst gezielt einen als nachhaltig vermarkteten Fonds ohne Rüstung gekauft haben und dieser jetzt doch in Rüstung investiert, lässt das Vertrauen in ESG-Fonds weiter sinken.