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Herzlich willkommen zum Newsletter des CorA-Netzwerks!

Das europäische Lieferkettengesetz ist seiner Entstehung einen großen Schritt nähergekommen: Am 1. Dezember einigten sich die Mitgliedstaaten im Europäischen Rat auf ihre Position, mit der sie in die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament und der Kommission eintreten wollen. Kurz vor dem Abstimmungstermin sah es noch so aus, als würden mehrere Länder den Kompromiss blockieren. Denn zahlreiche Aspekte waren hoch umstritten, unter anderem welche Pflichten dem Finanzsektor auferlegt werden sollten. Letztlich stimmte eine Mehrheit für den Kompromiss, jedoch gaben diverse Länder zusätzliche Forderungen zu Protokoll – darunter auch Deutschland. Die Hintergründe dazu finden Sie in diesem Newsletter.

Auch die Entwicklung des UN-Abkommens zu Wirtschaft und Menschenrechten (UN-Treaty) hat Fahrt aufgenommen. Alle wichtigen Industrieländer beteiligten sich an den Verhandlungen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten engagieren sich mehr – ein positiver Nebeneffekt der Verhandlungen über ein europäisches Lieferkettengesetz. Über die Tagung der zuständigen UN-Arbeitsgruppe berichtet Karolin Seitz.

Lesen Sie außerdem in diesem Newsletter über weitere Initiativen: Den EU-Vorschlag für das Verbot von mit Zwangsarbeit hergestellten Produkten, Anfänge eines Verbots von unfairen Handelspraktiken, den Branchendialog Automobil und den Stand der Vorbereitungen des BAFA für das Inkrafttreten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes am 1.1.2023.

Wir wünschen eine anregende Lektüre und freuen uns über Rückmeldungen.

 

Heike Drillisch  

(CorA-Koordinatorin)

 

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Zum Download als PDF.

 

 

Unterschriftenübergabe der Initiative Lieferkettengesetz, Foto: Valère Schramm

Halbzeit für das EU-Lieferkettengesetz: Kritische Schwächen müssen abgebaut werden

Cornelia Heydenreich (Germanwatch)

Das EU-Lieferkettengesetz nimmt langsam Form an, der Vorschlag des EU-Rats liegt bereits vor. Doch der Entwurf weist starke Lücken auf, insbesondere bei Ausnahmeregelungen für Exporte und den Finanzsektor. Auch Deutschlands Position erntet Kritik.

Turbulente Wochen liegen hinter uns auf dem Weg zum EU-Lieferkettengesetz. Im Februar diesen Jahres hat die EU-Kommission einen Vorschlag für ein europäisches Lieferkettengesetz vorgelegt (Corporate Sustainability Due Diligence Directive – CSDDD). Dieser wurde anschließend an das EU-Parlament und den EU-Ministerrat übermittelt. Ende November kam es zum Showdown auf Ratsebene und auch im EU-Parlament laufen entscheidende Verhandlungen.

Auf Ratsebene war die Bundesregierung zunächst in der zuständigen Ratsarbeitsgruppe über Monate nicht sprechfähig, weil sie innerhalb der Ampelkoalition noch um einen Konsens rang. Schließlich einigte man sich Anfang September auf Eckpunkte für eine deutsche Position. Großes Novum war dabei, dass Deutschland den Vorschlag der Kommission für eine zivilrechtliche Haftung im Grundsatz mittrug. Diese würde es Betroffenen ermöglichen, Schadensersatz vor Zivilgerichten in EU-Mitgliedstaaten einzuklagen. Beim deutschen Lieferkettengesetz war die zivilrechtliche Haftung noch hoch umstritten und konnte aufgrund des Widerstands von CDU und CSU nicht in den Gesetzestext aufgenommen werden.

Kritik an der deutschen Position

Details des deutschen Kompromisses sickerten erst nach und nach durch. Besondere Kritik erntete die geplante Einschränkung der Haftung, die sogenannte Safe-Harbour-Regelung. Sie sieht eine Begrenzung der Haftung vor, wenn Unternehmen bestimmte Zertifizierungen verwenden oder sich an Branchenstandards beteiligen. Nicht nur die Initiative Lieferkettengesetz, auch der Rechtsprofessor und EU-Parlamentarier René Repasi kritisierte dieses Vorhaben deutlich. Auch in Brüssel stieß die Bundesregierung mit ihren Forderungen zur Haftungserleichterung auf wenig Begeisterung, der Punkt erhielt keinen Einzug in die Kompromissentwürfe der tschechischen Ratspräsidentschaft. Jedoch beharrt die Bundesregierung auf Druck des FDP-geführten Justizministeriums mit einer Protokollerklärung zum Ratsbeschluss weiterhin auf Haftungsausnahmen für Unternehmen (Safe Harbour) und will eine endgültige Zustimmung Deutschlands daran knüpfen.

Einschränkungen bei Menschenrechtsabkommen

Andere Positionen der Bundesregierung, die auch auf Druck der FDP eingeflossen sein sollen, haben dagegen deutliche Spuren im Ratstext hinterlassen. So hat sich die Bundesregierung mit ihrer Forderung durchgesetzt, die Liste der von Unternehmen zu achtenden Menschenrechte erheblich einzuschränken: Von anfangs 14 internationalen Menschenrechtsinstrumenten sind nur zwei übriggeblieben, Rechte von Indigenen will der EU-Rat gänzlich unter den Tisch fallen lassen.

Klimapläne ohne Umsetzungspflicht

Im Klimabereich hat Deutschland hingegen Einschränkungen verankert, die eine wirksame Durchsetzung des Gesetzes gefährden. Besonders gravierend ist eine Ausnahmeregel, mit der die Umsetzung der Klimapläne von Unternehmen nicht von den zuständigen Behörden kontrolliert werden kann. Zudem wollen die EU-Mitgliedstaaten das Vorhaben streichen, die Klima- und Nachhaltigkeitsperformance eines Unternehmens bei der Vergütung von Vorständen zu berücksichtigen.

Ausnahmen für Exporte und den Finanzsektor

Auch andere Mitgliedstaaten sind nicht untätig geblieben. Insbesondere Frankreich hat sich mit problematischen Forderungen durchgesetzt. Zunächst hielt die französische Regierung lange an den „etablierten Geschäftsbeziehungen“ fest, da das französische Lieferkettengesetz entsprechend ausgestaltet ist. Damit würden viele problematische Bereiche der Wertschöpfungskette, zum Beispiel in schnelllebigen Branchen wie dem Textilsektor, nicht erfasst. Selbst Unternehmen finden eine solche Begrenzung nicht zielführend, wie sie im Rahmen einer Konsultation gegenüber der EU-Kommission verdeutlichten. Der Widerstand war letztlich so groß, dass diese Einschränkung weichen musste. Frankreich hat sich dieses Umlenken jedoch teuer erkaufen lassen: Zwar konnte die französische Regierung weder die nachgelagerte Lieferkette noch den Finanzsektor komplett ausnehmen, aber sie setzte sehr weitgehende Ausnahmeregelungen durch. So will der Rat nun genehmigte Waffenexporte nicht erfassen – im Übrigen auch eine Forderung, die bereits aus Deutschland kam. Aber die Einschränkungen in der nachgelagerten Kette gehen weiter: Auch die Verantwortung für Pestizidexporte oder der Verkauf von Überwachungssoftware ist nicht mehr enthalten, nur noch die Entsorgung von Produkten blieb übrig.

Beim Finanzsektor gehen die Einschränkungen noch weiter. Nachdem für Finanzdienstleistungen ohnehin nur sehr begrenzte Sorgfaltspflichten vorgesehen sind – auch auf Wunsch der Bundesregierung – können Mitgliedstaaten nun sogar ganz davon absehen, spezielle Regelungen für den Finanzsektor festzulegen. Diese massive Einschränkung setzte Frankreich auf den letzten Metern durch, andernfalls wäre eine Mehrheit bei der Sitzung des zuständigen Wettbewerbsrats am 1. Dezember gefährdet gewesen. Zwar sprachen sich erst am 24. November 2022 über 140 Investoren mit einem Anlagevolumen von 1,5 Billionen US-Dollar für ein EU-Lieferkettengesetz aus, das auch die Finanzwirtschaft umfassen soll. Bei seinen Planungen, Paris zu einem neuen Finanzdrehkreuz zu entwickeln, hat Frankreich anscheinend aber andere Finanzakteure im Blick.

Alle Augen auf das EU-Parlament gerichtet

Aber auch das EU-Parlament muss noch eine Position entwickeln. Das wird kein leichtes Unterfangen: Neben dem federführenden Rechtsausschuss sind acht weitere Ausschüsse beteiligt. In diesen Ausschüssen laufen seit einigen Monaten intensive Verhandlungen und auch die Berichterstatterin im Rechtsausschuss, Lara Wolters, hat Anfang November ihren Vorschlag vorgelegt. Darin schlägt sie eine Reihe wichtiger Verbesserungen vor, die den Kommissionsentwurf entscheidend stärken könnten. Allerdings erhält sie starken Gegenwind insbesondere aus der Mitte-Rechts-Fraktion im EU-Parlament (EVP), in der unter anderem die CDU und CSU organisiert sind. Zwar konnten sich einige Abgeordnete nicht damit durchsetzen, das EU-Lieferkettengesetz mit Verweis auf die aktuelle Krisensituation und Belastungen der Wirtschaft ganz aufzuschieben. Schattenberichterstatter Axel Voss, ein deutscher CDU-Abgeordneter, hat jedoch massive Änderungsvorschläge eingereicht, die das Gesetz viel stärker einschränken würden als der Ratsbeschluss, die aber auch klar hinter dem deutschen Lieferkettengesetz zurückfallen. In 198 Änderungsanträgen schlagen Axel Voss und weitere EVP-Abgeordneten zum Beispiel vor, die nachgelagerte Lieferkette und den Finanzsektor komplett auszunehmen und überhaupt keine Klimapläne aufzustellen. Zudem sollen Aktivitäten innerhalb Europas komplett ausgenommen werden. Dies würde jedoch verkennen, dass innerhalb Europas und auch in Deutschland ebenfalls Risiken für Mensch und Umwelt bestehen können. Man denke nur an die erschreckenden Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachtbetrieben oder Formen moderner Sklaverei in spanischen Gemüseanbaubetrieben.

Zivilgesellschaft macht Druck

Liegen sowohl die Vorschläge des EU-Rats als auch des EU-Parlaments vor, geht es in den sogenannten Trilog-Prozess, in dem beide Instanzen gemeinsam mit der EU-Kommission eine Einigung aushandeln. Damit bei den weiteren Verhandlungen die eigentlichen Anliegen des Gesetzes nicht aus dem Blick geraten, wird die Zivilgesellschaft weiterhin Druck machen. Seit September gibt es dafür auch eine europaweite Kampagne – „Justice is Everybody‘s Business“. Die Initiative Lieferkettengesetz ist eine von vielen Unterstützerorganisationen des europäischen Bündnisses und setzt sich insbesondere gegenüber deutschen Akteuren für ein wirksames Lieferkettengesetz ein – mit vielen Mitstreiter*innen. Erst Anfang Dezember hat sie dem Kanzleramt über 90.000 Unterschriften für ihr Anliegen übergeben.

 

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Foto: Roman Wimmers / unsplash.org

Gesetzesvorschlag mit Löchern: Finanzdienstleister im EU-Lieferkettengesetz

Ulrike Lohr (Südwind)

In dem Vorschlag der EU-Kommission für ein europäisches Lieferkettengesetz (engl. CSDDD) vom Februar 2022 sind eine ganze Reihe Ausnahmeregelungen für den Finanzsektor vorgesehen. Mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen haben sich im Oktober deshalb an die EU-Gesetzgeber gewandt und dringende Nachbesserungen gefordert.

Bislang wurden Nachhaltigkeitsaspekte in Investitionsentscheidungen meist vernachlässigt. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben immer wieder dokumentiert, dass europäische Finanzinstitute in Unternehmen und Projekte investiert haben, die zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden führten. Mit der Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten könnte der Finanzsektor auf nachhaltiges Wirtschaften jedoch direkt Einfluss nehmen. Denn er stellt Finanzmittel und Liquidität für Unternehmen bereit und nimmt so eine zentrale Stellung in der Wirtschaft ein. Zwar hat die EU mit dem Aktionsplan zur Finanzierung von nachhaltigem Wachstum bereits mehrere Gesetze wie etwa die Offenlegungsverordnung (engl. SFDR) auf den Weg gebracht, um private Investitionen in nachhaltige Aktivitäten zu lenken. Diese Vorhaben definieren aber vor allem Berichtspflichten und setzen keinen gemeinsamen Mindeststandard für die Ausgestaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten im Finanzsektor. Die Einbeziehung aller Finanzmarktakteure in das Europäische Lieferkettengesetz könnte diese Lücken schließen.

Was fehlt in dem Vorschlag?

  • Die Finanzinstitute sind nur vor der Erbringung ihrer Dienstleistungen zur Prüfung möglicher Risiken verpflichtet. Dies steht im Widerspruch zum Grundsatz der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht. Sorgfaltsprüfungsprozesse sind nicht statisch, sondern fortlaufend und reaktionsfähig. Diese Regelung muss daher dringend gestrichen werden, um mögliche nachteilige Auswirkungen während des gesamten Lebenszyklus der Geschäftsbeziehung zu ermitteln und zu bewerten.
  • Die Definition der „Wertschöpfungskette“ beschränkt die Verantwortung der Finanzinstitute nur auf direkte Kunden. Diese Beschränkung schließt Unternehmen, die in Geschäftsbeziehung mit diesen Kunden stehen, aus. Auch kleinere und mittelständische Unternehmen werden nicht miteinbezogen, selbst wenn sie als Risikosektor klassifiziert sind. Auch diese Regelung steht im Widerspruch zu internationalen Rahmenwerken, die einen Einbezug der gesamten Wertschöpfungskette fordern, und muss gestrichen werden.
  • Finanzinstitute sind nicht verpflichtet, ihre Geschäftsbeziehungen zu einem Unternehmen zu beenden, wenn dies dem Unternehmen einen „erheblichen Schaden“ zufügen könnte. Auch diese Ausnahme muss gestrichen werden. Stattdessen muss die Bedeutung des Engagements und der Ausübung von Einfluss bei der Durchführung von Due-Diligence-Prüfungen definiert werden. Die Richtlinie sollte klarstellen, dass Finanzinstitute ihre Geschäfte mit Unternehmen beenden können, wenn angemessene Alternativen ausgeschöpft wurden.
  • Der Finanzsektor gilt nicht als Risikosektor. Hier muss nachgebessert werden. Wie auch von der OECD gelistet, muss der Finanzsektor als Risikosektor definiert und entsprechend behandelt werden.

Mehr, nicht weniger Regulierung notwendig

Aktuell berät das Europäische Parlament über den Kommissionsvorschlag. Der Berichterstatter für den Wirtschaftsausschuss ECON René Repasi (SPD) hat im Oktober eine Stellungnahme vorgelegt, in der er detaillierte Vorschläge machte, wie Finanzmarktakteure umfassend eingebunden werden könnten. Wie weit er sich mit diesen Vorschlägen im ECON durchsetzen kann, wird sich zeigen.

Gegenwind kommt derweil von anderer Stelle: Am ersten Dezember haben die Europäischen Mitgliedstaaten ihre gemeinsame Position des Rates für die kommenden Trilog-Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Rat vorgestellt. Insbesondere für den Finanzsektor sieht das Papier entscheidende Abschwächungen vor. Auf Druck Frankreichs hin wurde ein Passus eingefügt, der vorsieht, dass die Nationalstaaten selbst entscheiden dürfen, ob sie ihre Finanzinstitute in den Anwendungsbereich von CSDDD stellen oder nicht. Investments werden komplett ausgeschlossen.

Kursänderungen der Bundesregierung erforderlich

In den internen Handlungsanweisungen der Bundesregierung zu den EU-Verhandlungen fordert die Bundesregierung, Finanzinvestitionen aus dem europäischen Lieferkettengesetz komplett zu streichen, da diese bereits Berichtspflichten unter der SFDR unterlägen. Repasi kommentierte die Haltung der Bundesregierung kritisch. Er verstehe nicht, warum diese sich Texte von Lobbyisten wortgleich zu eigen mache. Die Bundesregierung hat sich zu diesem Vorwurf bis heute nicht geäußert. Diese Positionierung fällt jenen EU-Parlamentarier*innen in den Rücken, die sich bei Sozialdemokraten oder Grünen für eine Inklusion des Sektors einsetzen.

Im Mai plant das Europäische Parlament, seine Position zum Lieferkettengesetz zu beschließen. Die Bundesregierung ist schon jetzt dazu aufgefordert, ihren Kurs zu ändern und für eine umfassende Berücksichtigung des Finanzsektors einzutreten. Denn setzen sich die bremsenden Staaten wie Deutschland und mehr noch Frankreich mit ihren Forderungen durch, wird die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten endgültig auf Transparenzvorgaben für den Finanzsektor reduziert.

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Foto: Karolin Seitz

Nach 8. Verhandlungsrunde: UN-Treaty nimmt Fahrt auf

Karolin Seitz (Koordinatorin der Treaty Alliance Deutschland)

Seit 2014 wird im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN) in Genf über ein international verbindliches Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten – auch UN-Treaty genannt – verhandelt. Im Oktober fand die achte Verhandlungsrunde statt. Von den Ländern des Globalen Südens bis hin zu den großen Industrienationen waren alle dabei.

Es ist mittlerweile bei allen Staaten angekommen: Der UN-Prozesses für die Entwicklung gemeinsamer globaler Standards zur Regulierung von Wirtschaftsaktivitäten zugunsten der Einhaltung von Menschrechten ist weltweit von großer Bedeutung. So waren während der achten Runde auch alle Big Player im Verhandlungssaal – angefangen von den USA, der EU, Australien, Großbritannien und Japan bis hin zu Indien, China, Brasilien und Russland. Weiterhin getragen wird der Prozess von Ländern des Globalen Südens, allen voran Ecuador, Südafrika, Mexiko, Namibia, Kenia und Uruguay. Der Vorwurf, dem Prozess fehle die „critical mass“ und er hätte zu wenig Zugkraft, da die wichtigen Industrienationen nicht dabei wären, ist damit vom Tisch. Auch mehrere Trägerorganisationen des zivilgesellschaftlichen Bündnisses Treaty Alliance Deutschland waren vor Ort in Genf und beteiligten sich mit mündlichen Stellungnahmen und Side Events.

EU-Verhandlungsmandat ist nur noch eine Frage der Zeit

Obwohl die USA den aktuellen Entwurf zu Anfang der Verhandlungsrunde in seiner Gänze noch als zu reglementierend ablehnten, zeigten sie ihre Verhandlungsbereitschaft, indem sie konkrete Änderungsvorschläge am Text einbrachten. Auch die EU steht kurz davor, in die Verhandlungen einzutreten. Die EU-Vertretung stellte mit Blick auf ausgewählte Artikel des Abkommensentwurfs bereits in dieser Verhandlungsrunde dar, welche Regelungen die kommende EU-Richtlinie diesbezüglich vorsehe. Die EU-Kommission will jedoch zunächst abwarten, bis eine gemeinsame Position hinsichtlich der EU-Richtlinie zu nachhaltiger Unternehmensführung gefunden ist, und dann ein Verhandlungsmandat für den UN-Prozess in die Wege leiten. Dies sollte möglichst bald erfolgen, sodass sich die EU spätestens bei der neunten Verhandlungsrunde im Herbst 2023 aktiv einbringen kann. Mehr als die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten, darunter auch Hubertus Heil für Deutschland, haben sich bereits deutlich für ein solches EU-Verhandlungsmandat ausgesprochen.

EU-Lieferkettengesetz und UN-Treaty ergänzen sich

Denn das UN-Abkommen wäre eine Ergänzung zum EU-Lieferkettengesetz, beide Regelungen würden sich gegenseitig stärken. Das haben die vier Wissenschaftler*innen Nadia Bernaz, Markus Krajewski, Kinda Mohamadieh und Virginie Rouas in einer kürzlich veröffentlichten Studie erläutert. So sieht der gegenwärtige Entwurf mehrere Regelungen vor, die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden durch Unternehmen den Zugang zu Recht erleichtern würden. Es werden Fragen des Internationalen Privatrechts, etwa zum Gerichtsstand und zum anwendbaren Recht in transnationalen Fällen, geregelt. Bereiche, die kaum durch die kommende EU-Richtlinie abgedeckt werden. Die deutsche Vertretung lieferte Vorschläge zum Inhalt und zur Struktur des Abkommens sowie den weiteren Verhandlungsmodalitäten. So sollen verbindliche menschenrechtliche Sorgfaltspflichten, wie sie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und die kommende EU-Richtlinie vorsehen, gemeinsam mit Regelungen zum Zugang zu Recht für Betroffene Bestandteile des Abkommens sein.

Vorschläge des Vorsitzenden sorgen für Verwirrung

Für Verwirrung sorgten die Vorschläge des ecuadorianischen Vorsitzenden der Verhandlungsrunde. Diese waren nur wenige Wochen vor den achten Verhandlungen veröffentlicht worden. Weder war der ecuadorianische Vorsitzende mit der Erstellung eigener neuer Textvorschläge von den Staaten beauftragt worden, noch basierte der Vorschlag auf den Verhandlungen und Kommentaren der Staaten aus den vergangenen Jahren. So war eine Reihe wesentlicher Aspekte herausgefallen, die für einen wirksamen Menschenrechts- und Umweltschutz in der globalisierten Wirtschaft wesentlich sind. Schließlich einigten sich die anwesenden Staaten darauf, die Verhandlungen ausschließlich auf Grundlage des dritten überarbeiteten Abkommensentwurfs („Third Revised Draft“) zu führen, welcher auf den vorherigen Verhandlungsrunden basiert und bereits von den Staaten kommentiert worden war. Die nun konstituierte Untergruppe “Friends of the Chair“, bestehend aus Aserbaidschan, Frankreich, Indonesien, Kamerun, Portugal und Uruguay, wird gemeinsam mit dem ecuadorianischen Vorsitzenden an Kompromissvorschlägen weiterarbeiten und bis zur nächsten Verhandlungsrunde im Herbst 2023 Konsultationen mit den verschiedenen Akteuren durchführen. Die Veröffentlichung des aktualisierten Entwurfs ist bis Ende Juli 2023 geplant.

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Rathaus Borna, Foto: BornaerBubi/Wikimedia Commons / CC-BY-SA-3.0

Lieferkettengesetz: Alles fertig für 2023?

Maren Leifker (Brot für die Welt & NGO-Vertreterin im BAFA-Beirat)

Das Inkrafttreten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) am 1. Januar 2023 wird nicht nur in Deutschland mit Spannung erwartet. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hat bereits zahlreiche Dokumente veröffentlicht, um Unternehmen auf die Durchsetzung des Gesetzes vorzubereiten. Die zivilgesellschaftlichen Erwartungen an die Behörde sind groß.

Mitte Oktober hat das BAFA den Fragenkatalog veröffentlicht, nach dem Unternehmen ab dem 1. Januar 2023 ihrer Berichtspflicht nach dem LkSG nachkommen sollen. Der vollständige Berichtsfragebogen ist in fünf Hauptkategorien unterteilt: Strategie und Verankerung, Risikoanalyse und Präventionsmaßnahmen, Feststellung von Verletzungen und Abhilfemaßnahmen, Beschwerdeverfahren, Bewertung des Risikomanagements und Schlussfolgerungen. Die gesetzlichen Anforderungen des LkSG werden darin detailliert abgefragt. Dabei wird auch auf Aspekte wie Einkaufspraktiken, die Berücksichtigung der Interessen potenziell Betroffener und die Wirksamkeit des Beschwerdeverfahrens eingegangen. Der Fragenkatalog enthält offene und geschlossene sowie Multiple-Choice-Fragen. Unternehmen sollen diese ab Januar 2023 über eine Maske auf der Seite des BAFA beantworten. Aus den Antworten wird dann automatisiert der BAFA-Bericht generiert.

Von Unternehmen war die Veröffentlichung des Fragenkatalogs dringend erwartet worden, weil sich daraus auch Hinweise ergeben, wie bestimmte Anforderungen des LkSG zu erfüllen sind. Um sie bei der Umsetzung der neuen gesetzlichen Pflichten zu unterstützen, entwickelt das BAFA zudem Handreichungen. Erste Handreichungen zu den Themen Risikoanalyse und Beschwerdeverfahren  wurden bereits veröffentlicht, weitere sind geplant. Die Erarbeitung des Fragenkatalogs und der Handreichungen wurde vom BAFA-Beirat, der aus sechs Vertreter*innen von Wirtschaftsverbänden, NGOs, Gewerkschaften, Wissenschaft sowie dem Deutschen Institut für Menschenrechte und dem Unternehmensnetzwerk econsense besteht, beratend begleitet.

Personallücke beim BAFA bleibt problematisch

Während die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen, ist das BAFA weiterhin unzureichend besetzt. Nachdem die Mittel im Bundeshaushalt 2022 im parlamentarischen Verfahren immerhin von ursprünglich 20 geplanten Stellen auf 57 aufgestockt wurden, waren im Haushaltsentwurf für 2023 lediglich 7 weitere Stellen vorgesehen, obwohl im Januar des Jahres die eigentliche Kontrolltätigkeit der Behörde beginnt. Die Mittel für das BAFA wurden im parlamentarischen Verfahren zwar erneut erhöht, wobei unterschiedliche Zahlen zu den Stellen kursieren, die in Zukunft für die Durchsetzung des LkSG zur Verfügung stehen. Es bleibt aber in jedem Fall eine erhebliche Personallücke gegenüber dem Personalbedarf von 143 Stellen, den das BAFA gemeinsam mit den zuständigen Ministerien ermittelt hat. Der Personalmangel beeinträchtigt das BAFA in der Bewältigung seiner vielfältigen Aufgaben. Zu diesen zählen nicht nur die regelmäßige Überprüfung der über 5.000 vom Gesetz erfassten Unternehmen ab 2024, sondern auch die fortlaufende Information über Risikolagen insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern sowie die Bearbeitung der Anträge von betroffenen Personen. Dennoch wurde die neue Außenstelle des BAFA für die Durchsetzung des LkSG in Borna bei Leipzig im Dezember eröffnet und die ersten neuen Referatsleitungen und Sachbearbeiter*innen haben ihren Dienst angetreten.

Niederschwelliges Beschwerdesystem hat nun oberste Priorität

In den nächsten Monaten wird es besonders wichtig sein, das BAFA beim Aufbau eines Antragsverfahrens zu unterstützen, das einfach zugänglich, transparent und klar geregelt ist. Nur so haben Betroffene eine reelle Chance auf Abhilfe und der Schutz ihrer Rechte im Sinne der Gesetzesziele kann tatsächlich verbessert werden. In einem aktuellen Arbeitspapier zeigt INKOTA am Beispiel der Leder- und Schuhbranche, welche Kriterien solch ein Beschwerdesystem – ob nichtstaatlich oder staatlich – erfüllen sollte, um als effektiv gelten zu können.

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Präsentation der Handlungsanleitungen beim Branchendialog Automobil, Foto: Ralf Rühmeier

Branchendialog Automobil: Maßnahmen brauchen mehr Unternehmensbeteiligung

Sarah Guhr (Germanwatch)

Nach fast drei Jahren intensiver Verhandlungen wurden Ende September die Ergebnisse der ersten Stufe des NAP-Branchendialogs Automobil bei der Konferenz „Branchendialog Automobilindustrie – Lieferketten fair gestalten“ erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Die beteiligten zivilgesellschaftlichen Organisationen ziehen in einer gemeinsamen Stellungnahme ein gemischtes Fazit.

Eines der wichtigsten Ergebnisse des NAP-Branchendialogs Automobil sind die konkreten Handlungsanleitungen für die fünf Kernelemente menschenrechtlicher Sorgfalt. Sie orientieren sich an den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP), helfen aber auch dabei, die Anforderung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) zu erfüllen. Darüber hinaus wurden länderübergeordnete Qualitäts- und Handlungsempfehlungen für einen verantwortungsvollen Lithiumabbau entwickelt, die in den folgenden Monaten mit verschiedenen Stakeholdergruppen diskutiert und durch die beteiligten Unternehmen individuell umgesetzt werden sollen.

Zertifizierungen unter der Lupe

Mit einem Pilotprojekt sollen am Beispiel der Kupfer-Lieferkette Nutzen und Grenzen von Zertifizierungen als Teil menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten ermittelt werden. Damit wird die seit Jahren bekannte Kritik an Audits und Zertifizierungen – auch von CorA-Trägerorganisationen – endlich von Stakeholdern aus Politik und Wirtschaft aufgegriffen. Die Ergebnisse werden dabei helfen, ein gemeinsames Verständnis für die Chancen und Grenzen standardisierter Tools zu schaffen und werden zeigen, welche Maßnahmen darüber hinaus erforderlich sind, um wirksame Präventions- und Abhilfemaßnahmen zu ergreifen.

Kollektiver Beschwerdemechanismus mit viel Potenzial

Als weiteres Pilotprojekt soll ein unternehmensübergreifender Beschwerdemechanismus in Mexiko aufgebaut werden. Bislang hat aber nicht mal eine Handvoll der über 20 Unternehmen des Branchendialogs verbindlich zugesagt, sich an dem  Projekt zu beteiligen. Zuletzt hatte VW überraschend seinen Ausstieg aus dem gemeinsamen unternehmensübergreifenden Beschwerdemechanismus angekündigt. Das Unternehmen begründet den Ausstieg damit, dass das geplante Projekt „keine ausreichenden Vorteile gegenüber den bestehenden Beschwerdesystemen bei VW“ biete. Dieser Einschätzung widersprechen die am Prozess beteiligten zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Deutschland und Mexiko ausdrücklich und haben in einer gemeinsamen Stellungnahme die aus ihrer Sicht wesentlichen Vorteile des unternehmensübergreifenden Beschwerdemechanismus gegenüber unternehmensindividuellen Mechanismen ausgeführt. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das die Einhaltung des Gesetzes durch die Unternehmen kontrollieren wird, befürwortet in einer kürzlich veröffentlichten Handreichung zu Beschwerdemechanismen eine Teilnahme an derartigen kollektiven Maßnahmen. Darin heißt es: „Um die eigenen Ressourcen möglichst zielführend und effektiv einzusetzen, sollten Unternehmen prüfen, wo […] es sich anbietet, Ressourcen in brancheninternen oder branchenübergreifenden Verfahren zu bündeln. Neben der Verbesserung eigener Systeme sollten Unternehmen gezielt mit anderen Unternehmen und branchenspezifischen oder -übergreifenden Initiativen zusammenarbeiten, um den Zugang zu Beschwerdeverfahren in bestimmten Lieferkettenstufen oder Hochrisiko-Rohstofflieferketten zu verbessern“. Auch die beteiligten zivilgesellschaftlichen Organisationen sehen in dem Pilotprojekt großes Potenzial. In einer gemeinsamen Pressemitteilung mit der mexikanischen Partnerorganisation ProDesc fordern sie daher relevante Unternehmen auf, durch Beteiligung an diesem Projekt Einfluss auf die automobile Lieferkette in Mexiko zu nehmen und so zur umfassenden Wiedergutmachung von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden beizutragen.

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Auslese Äthiopien, Foto: Christof Krackhardt / Brot für die Welt

Unfaire Handelspraktiken: Menschenrechtsverletzungen im Kaffeesektor

Maja Volland (Forum Fairer Handel) & Teresa Hoffmann (Brot für die Welt)

Unternehmen im Kaffeesektor nutzen ihre Markt- und Verhandlungsmacht häufig aus, um Kosten und Risiken auf Produzent*innen abzuwälzen. Dabei könnten faire Handelspraktiken und die Bezahlung fairer Preise Menschenrechtsrisiken entlang von Kaffeelieferketten verringern. Politische Instrumente wie das europäische Lieferkettengesetz können dabei unterstützen.

Obwohl der Kaffeekonsum in Deutschland und weltweit steigt, erhalten die etwa 125 Millionen Menschen, die in den Anbauländern in der Produktion und Verarbeitung von Rohkaffee beschäftigt sind, oft Löhne und Einkommen unterhalb eines existenzsichernden Niveaus. Große Handelshäuser im Kaffeesektor nutzen ihre dominante Marktstellung häufig aus, um Preise zu drücken, Zahlungsfristen zu ihren Gunsten zu verschieben und den Kaffee erst zu bezahlen, wenn er tatsächlich weiterverkauft wurde. Das Risiko der Finanzierung wird so auf die Kaffeeproduzent*innen abgewälzt. Lieferant*innen berichten von verschiedensten Methoden, wie sie von Supermarktketten im Preis gedrückt und zur Übernahme von Kosten gezwungen werden, die diese eigentlich selbst tragen müssten. Solche Einkaufs- und Preispolitiken erhöhen den Druck für Produzent*innen, Betriebskosten niedrig zu halten. Das geht letztendlich auf Kosten von Menschenrechten, Umwelt- und Klimaschutz. Da gerade Kleinbäuer*innen in hohem Maße auf Familienarbeitskräfte angewiesen sind, kommt es vor, dass Kinder auf den Plantagen arbeiten, um das Familieneinkommen zu verbessern. Werden externe Erntehelfer*innen engagiert, können Kaffeebäuer*innen diesen oft nicht einmal den Mindestlohn bezahlen, obwohl dieser besipielsweise in Kolumbien bereits unterhalb eines existenzsichernden Niveaus liegt.

Verbot von unlauteren Handelspraktiken: ein erster Schritt, aber nicht genug

Die EU hat 2019 mit der Richtlinie über unlautere Handelspraktiken auf den Machtmissbrauch im Agrar- und Lebensmittelhandel reagiert. Deutschland hat diese im Mai 2021 im Rahmen des Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetzes (AgrarOLkG) umgesetzt. Das Gesetz verbietet einige der gravierendsten unlauteren Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und Lieferant*innen, wie etwa die kurzfristige Stornierung von Lieferungen. Bei Verletzungen können Betroffene innerhalb und außerhalb der EU Beschwerde bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) einreichen. Das Gesetz ist ein wichtiger erster Schritt, um unfaire Einkaufspraktiken von marktmächtigen Unternehmen in globalen Agrar- und Lebensmittelversorgungsketten zu unterbinden. Jedoch weist es erhebliche Lücken auf, welche im Rahmen der Evaluierung des Gesetzes im nächsten Jahr dringend geschlossen werden müssen. Unter anderem sollte es neben der konkreten Auflistung von Verboten eine Generalklausel geben, um Schlupflöcher für Einkäufer zu verhindern. Die Bundesregierung sollte im Rahmen des Gesetzes zudem ein Verbot von Einkaufspreisen unterhalb der Produktionskosten entlang der gesamten Lebensmittelkette gesetzlich verankern. Ein bereits im Februar 2020 in Spanien eingeführtes Verbot könnte größtenteils als Vorlage dienen.

Der Bundestag hatte sich im Rahmen der Gesetzgebung zudem für eine unabhängige, weisungsungebunde Ombuds- und Preisbeobachtungsstelle ausgesprochen, bei der Kleinbäuer*innen und Arbeiter*innen hierzulande sowie aus dem Globalen Süden anonym jedwede unfaire Handelspraktik sowie unfaire Preise melden können. Die Stelle soll auch Produktionskosten und Preisentwicklungen beobachten. Eine solche Stelle muss nun schnellstmöglich eingerichtet werden. Bisher fehlen hierfür jedoch Gelder im Haushalt.

Einkaufs- und Preispolitik müssen Teil unternehmerischer Sorgfaltspflichten sein

Die Einkaufs- und Preispolitik von Unternehmen hat direkte Folgen für die Produktions- und Arbeitsbedingungen entlang ihrer Lieferketten. Daher ist es zwingend notwendig, sie als Teil der unternehmerischen Sorgfaltspflichten im derzeit diskutierten EU-Lieferkettengesetz zu integrieren. Im aktuellen Entwurf der EU-Kommission sowie in der Positionierung des EU-Ministerrates werden Unternehmen nicht verpflichtet, ihre eigenen Beschaffungspraktiken zu analysieren. Dies birgt die Gefahr, dass Unternehmen weiterhin mit unlauteren Handelspraktiken den Kostendruck in der Lieferkette erhöhen und gleichzeitig die Kosten zur Umsetzung des Gesetzes einseitig auf ihre Lieferant*innen abwälzen. Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz muss daher die Einkaufspolitik von Unternehmen als eigenständige Präventionsmaßnahme benennen und sicherstellen, dass Unternehmen ihre Einkaufspraktiken bei jedem Schritt ihres Due-Diligence-Prozesses berücksichtigen und sich an den Kosten für die Umsetzung des Lieferkettengesetzes beteiligen.

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Baumwollfeld, Foto: Jeff Hutcheson / unsplash.org

EU-Verordnungsvorschlag: Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit

Bettina Braun (Deutsches Institut für Menschenrechte)

Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) befinden sich weltweit etwa 26,7 Millionen Menschen in Zwangsarbeit. Eine neue EU-Verordnung soll Produkten, die unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt werden, den Zutritt zum Europäischen Markt verwehren.

Weltweit werden 6,3 Millionen Menschen in staatlich veranlasster Zwangsarbeit und 17,3 Millionen in privatwirtschaftlicher ausgebeutet, schätzt die ILO. Um dagegen vorzugehen, hat die Europäische Kommission am 14. September 2022 einen Verordnungsvorschlag veröffentlicht, nach dem Produkte, die insgesamt oder teilweise mit Zwangsarbeit hergestellt wurden, auf dem Europäischen Markt verboten werden sollen. Das Verbot der Zwangsarbeit würde demnach innerhalb der gesamten Lieferkette in- und außerhalb der EU greifen, und somit die Gewinnung, Ernte, Erzeugung und Herstellung abdecken. Betroffene Produkte dürften dann weder in den Verkehr gebracht, noch importiert oder exportiert werden. Anders als Lieferkettengesetze würde dieser Vorschlag nicht unternehmensbezogene menschenrechtliche Sorgfaltspflichten vorschreiben, sondern die in Zwangsarbeit hergestellte Produkte selbst verbieten. Anzeichen für das Vorliegen von Zwangsarbeit sind nach der ILO etwa das Einbehalten von Löhnen, Schuldknechtschaft, Isolation, körperliche und sexuelle Gewalt, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Einbehalten von Ausweisdokumenten oder unzumutbare Arbeits- und Lebensverhältnisse.

Entwurf noch nicht wirksam genug

Der Vorschlag geht in vielerlei Hinsicht in die richtige Richtung. So werden etwa alle Produkte unabhängig von der Unternehmensgröße erfasst. Er weist jedoch auch gewichtige Schwächen auf. So beschäftigt sich der Entwurf kaum mit den Auswirkungen von Zwangsarbeit auf die Betroffenen selbst. Der Vorschlag regelt nicht, wie Zwangsarbeiter*innen Abhilfe erhalten können. Solche Abhilfemaßnahme könnten etwa sein, dass die jeweiligen Unternehmen (oder staatlichen Stellen) Schulden der Arbeitenden zahlen und so die Schuldknechtschaft auflösen. Auch die Verbesserung von Unterkünften und Arbeitsbedingungen sowie die Rückgabe zurückgehaltener Ausweisdokumente können Abhilfemaßnahmen sein. Wenn der Entwurf also vorsähe, dass eine Behördenentscheidung zum Verbot bestimmter Produkte durch Abhilfemaßnahmen innerhalb angemessener Fristen aufgehoben werden kann, könnte hier ein großer Anreiz für Unternehmen entstehen, die Situation für unmittelbar Betroffene zu verbessern. Auch werden bisher mögliche negative Folgen von Produktverboten für Betroffene weder berücksichtigt noch gibt es eine Möglichkeit, diese zu mildern.

Zudem sieht der Entwurf vor, dass mitgliedstaatliche Behörden die Verordnung durchsetzen, in Zusammenarbeit mit Zollbehörden. Nach aktuellem Stand sollen diese die volle Beweislast für das Vorliegen von Zwangsarbeit im Herstellungsprozess eines Produktes tragen. Ebenso ist es nicht möglich, Entscheidungen für gesamte Produktionsstätten oder Regionen zu treffen. Beides wird die Wirksamkeit des Verbotes einschränken.

Produktverbote aus Zwangsarbeit global auf dem Vormarsch

In ihrer Rede zur Lage der Union 2021 hatte Ursula von der Leyen angekündigt, dass ein Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit in der EU kommen würde. Bereits im Juni 2021 forderte das Europäische Parlament die Kommission dann auch zu einem solchen Vorschlag auf.

Die EU ist damit nicht allein. Kanada hat ein Importverbot, das jedoch bisher spärlich umgesetzt wurde. In den USA besteht bereits seit 1930 ein Importverbot von aus Zwangsarbeit hergestellten Produkten, das seit 2016 verstärkt vom Zoll durchgesetzt wird. Der von Präsident Biden 2021 verabschiedete Uyghur Forced Labor Prevention Act baut auf diesem Verbot auf. Der Act stellt die Vermutung auf, dass alle aus Xinjiang gelieferten Produkte in Zwangsarbeit hergestellt wurden und somit unter das Verbot fallen.

Im auf den Kommissionsvorschlag folgenden Trilog sollten Europäisches Parlament und Europäischer Rat nun zentralen Aspekte nachbessern.

 

Über 70 zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter das CorA-Netzwerk, fordern das Europäische Parlament und den Europäischen Rat daher in einem gemeinsamen Positionspapier auf, die Verordnung nachzuschärfen. Das CorA-Netzwerk hat zudem ein eine eigene Stellungnahme dazu auf Deutsch und Englisch verfasst und Letztere am 30.11.2022 in die Konsultation der EU-Kommission dazu eingebracht.

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Die Europäische Union überarbeitet gerade ihren Zollkodex. Ein Bündnis aus über 50 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften fordert in einem Offenen Brief, dass nicht-staatliche Akteure Zugang zu Informationen über Handelsbeziehungen, die dem Zoll vorliegen, erhalten. So können Zivilgesellschaft und Gewerkschaften sich effektiv einbringen und Kenntnisse über Verstöße den jeweiligen Unternehmen und Behörden zur Verfügung stellen. Der Zugang zu diesen Informationen ist somit eine wichtige Voraussetzung, um Zwangsarbeit zu bekämpfen und Menschenrechts- und Umweltschutz in den Wertschöpfungsketten voranzubringen.

Eine europäische Bürgerinitiative setzt sich unter dem Motto Good Clothes, Fair Pay für existenzsichernde Einkommen in der Bekleidungs- und Lederindustrie ein. Dies soll die europäische Lieferkettenregulierung CSDDD und die EU-Mindestlohnrichtlinie ergänzen. Neben fairer Bezahlung fordert die Initiative insbesondere Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen, aber auch etwa das Verbot unfairer Handelspraktiken und Vorschriften zu Transparenz. Mit diesen Maßnahmen kann ein wichtiger Beitrag zur Minderung von Armut in Europa und weltweit geleistet werden. Die Initiative kann hier unterstützt werden.