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Herzlich willkommen zum Newsletter des CorA-Netzwerks!

Nach über drei Jahren haben sich EU-Parlament, Rat und Kommission auf ein europäisches Lieferkettengesetz geeinigt. Trotz etlicher Schwächen aus zivilgesellschaftlicher Sicht ist dies ein Meilenstein für Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz und ein großer Erfolg der demokratischen Institutionen. Das sehen auch große Teile der Wirtschaft so. Doch nun stellt sich die FDP dagegen und will die Bundesregierung zur Enthaltung zwingen, obwohl ihr eigener Justizminister Buschmann die Verhandlungen entscheidend mitgeprägt hat.

Dabei zeigt sich bereits ein Jahr nach Inkrafttreten des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG), dass eine verbindliche Vorschrift für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz Wirkung entfaltet.

Wie die deutsche Außenwirtschaftsförderung dazu beitragen kann, Menschenrechte und Klimaschutz noch mehr zu stärken, lesen Sie in diesem Newsletter. Genauso spielen Berichtspflichten und freiwillige Nachhaltigkeitsstandards eine Rolle, damit Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten einhalten.

Auch die Unternehmensmitglieder des Forums Nachhaltiger Kakao (FNK) haben sich freiwillig Ziele für menschenwürdigere Arbeitsbedingungen und faire Bezahlung von Produzent*innen gesetzt. Eine Einschätzung der bisherigen Maßnahmen des FNK können Sie hier nachlesen.

Außerdem gibt es neue Entwicklungen beim Kartell- und Vergaberecht, sowie bei den Verhandlungen zum UN-Treaty und der EU-Verordnung zum Verbot von Produkten mit Zwangsarbeit.

Wir wünschen eine anregende Lektüre!

Heike Drillisch  

(CorA-Koordinatorin)

 

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Foto: Paul Jovis Wagner

EU-Lieferkettengesetz vor der finalen Abstimmung

Heike Drillisch, CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung

Am Morgen des 14.12.2023 stand der Deal: Parlament, Rat und Kommission einigten sich über das europäische Lieferkettengesetz (CSDDD). Ein wichtiger Meilenstein, obwohl der Kompromiss deutlich hinter den Erwartungen der Zivilgesellschaft zurückblieb. Doch FDP und Wirtschaftsverbände versuchen in letzter Minute, den europäischen Prozess zu torpedieren.

Über drei Jahre sind vergangen seit der Ankündigung des liberalen Justizministers Reynders, einen Vorschlag für eine EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) vorzulegen. Auf die Veröffentlichung dieses Vorschlags im Februar 2022 folgten intensive Verhandlungen des Europaparlaments, des EU-Rates und schließlich im Trilog zwischen Parlament, Rat und Kommission.

Wegweisender Kompromiss für Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz

Die schließlich erfolgte Einigung legt die Pflichten großer Unternehmen in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt in der „Kette ihrer Aktivitäten“ fest. Dies umfasst insbesondere die vorgelagerte Lieferkette, aber auch zum Teil Vertrieb und Recycling. Es soll sowohl eine behördliche Durchsetzung als auch eine zivilrechtliche Haftung für bestimmte Rechtsverletzungen geben. Unternehmen müssen einen Plan aufstellen, um ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Pariser Klimaschutzübereinkommen vereinbar zu machen. Allerdings soll die Umsetzung dieses Plans nicht überprüft werden.

Die Richtlinie soll für große Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von über 150 Millionen Euro gelten, zu einem späteren Zeitpunkt für Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden mit 40 Millionen Euro Umsatz in bestimmten Risikobranchen. Auch große Unternehmen außerhalb der EU sind erfasst. Zwar legt die Größe der erfassten Unternehmen nahe, dass der Anwendungsbereich deutlich breiter gegenüber dem deutschen Lieferkettengesetz ausgelegt ist, welches Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden einbezieht. Durch die Umsatzschwelle wird sich die Zahl der erfassten Unternehmen aber nicht wesentlich ändern. Finanzdienstleistungen sind bislang von der Regelung ausgenommen, lediglich eine Überprüfungsklausel für eine mögliche künftige Einbeziehung schaffte es in den Kompromiss.

FDP untergräbt demokratischen Prozess und Glaubwürdigkeit Deutschlands in der EU

Trotz der Schwächen, insbesondere in den Bereichen Klimaschutz und Finanzsektor, stößt der Kompromiss in der Zivilgesellschaft auf breite Zustimmung, denn es stärkt den Schutz von Menschenrechten, Umwelt- und Klimaschutz in der globalen Wirtschaft. Auch die liberale Renew-Fraktion und der zuständige Berichterstatter der konservativen EVP-Fraktion begrüßten den Kompromiss.

Doch mit einem Präsidiumsbeschluss vom 15. Januar 2024 stellt die FDP sich gegen den unter Beteiligung so zahlreicher Akteure ausgehandelten Kompromiss und will die Bundesregierung zu einer Enthaltung zwingen. Damit stellt sie sich – nicht zum ersten Mal – gegen die eigene Fraktion im Europäischen Parlament. Auch Justizminister Buschmann stellt sich nun, gemeinsam mit Finanzminister Lindner, gegen die Einigung. Dabei hatte er die Verhandlungen mitgetragen und auch mitgeprägt, wie ein Briefing der Initiative Lieferkettengesetz belegt. Wie von der FDP gewünscht, enthält der aktuelle Kompromiss weder Sanktionen bei Nichteinhaltung der Klimapläne noch eine verbindliche Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten bei der Vergütung von Unternehmensleitungen. Die vorgesehene Haftungsregelung ist eng an das deutsche Zivilrecht angelehnt. Unterm Strich geht die Einigung der EU-Institutionen nicht über die Position der Bundesregierung in den Trilog-Verhandlungen hinaus. Dass die FDP den Kompromiss nun nicht mittragen will und die Einigung durch Falschbehauptungen diskreditiert, schadet der Demokratie und untergräbt die Glaubwürdigkeit der gesamten Bundesregierung in der EU.

Wirtschaft und Wissenschaftler*innen für CSDDD

Der Widerstand der FDP dürfte auf die Lobbykampagne der großen Wirtschaftsverbände zurückgehen, die mit zahlreichen Mythen Stimmung gegen die CSDDD machen. Doch die Verbände sprechen schon lange nicht mehr für die gesamte Wirtschaft. Zahlreiche Unternehmen sprechen sich deutlich für das EU-Lieferkettengesetz aus, von Tchibo und Vaude über IKEA, ALDI Süd, Primark und Epson bis zu Ericsson. Der führende niederländische Wirtschaftsdachverband VNO-NCW begrüßte die Trilog-Einigung als „eine gute Nachricht“ und einen „Erdrutschsieg für die Unternehmer“. Eine repräsentative Umfrage des Handelsblatts ergab kürzlich, dass nur sieben Prozent der 2.000 befragten Betriebe eine Verpflichtung ablehnen, Menschenrechte und Umweltstandards in ihren Lieferketten zu achten. Die große Mehrheit ist sogar dafür. Laut einer im aktuellen „Spiegel“ veröffentlichten Umfrage erwarten 71 Prozent der befragten Unternehmen positive bis sehr positive Wirkungen des Gesetzes. Auch Wissenschaftler*innen, Prominente, die Initiative Christen in Europa und viele weitere Akteur*innen sprechen sich für das EU-Lieferkettengesetz aus.

Führung des Kanzlers gefordert

Vor diesem Hintergrund ist nun die Richtlinienkompetenz von Kanzler Scholz gefordert. Er muss die Irrfahrt der FDP stoppen, sich an die Seite eines Großteils der Wirtschaft, der Kirchen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft stellen und bei der Abstimmung über den finalen Text in Brüssel mit Ja stimmen. Sollte das momentan größte Gesetz im Bereich Menschenrechte und Klimaschutz an der Enthaltung einer Regierung scheitern, an der SPD und Grüne beteiligt sind, fiele dies auf die gesamte Bundesregierung zurück und wäre ein Skandal für alle Beteiligten.

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Foto: Ugandan Crafts/ unsplash.com

EU-Zwangsarbeitsverordnung: Parlament schlägt entscheidende Änderungen vor

Bettina Braun, Deutsches Institut für Menschenrechte

Die EU will in Zwangsarbeit hergestellte Produkte auf dem EU-Markt verbieten. Nach entscheidenden Änderungsvorschlägen von EU-Parlament und Rat ist der Verordnungsentwurf nun in Trilogverhandlungen.

Nach letzten Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) befinden sich global mehr als 21 Millionen Menschen in Zwangsarbeit. Die von ihnen hergestellten Produkte landen durch globale Lieferketten auch auf dem europäischen Markt. Um das künftig zu verhindern, arbeitet die EU seit 2022 an einer Verordnung, die Produkte auf dem EU-Markt verbieten würde, wenn diese unter Zwangsarbeit hergestellt wurden. Nach der Positionierung des Parlamentes im Oktober 2023 erzielte die belgische Ratspräsidentschaft eine Einigung Ende Januar 2024. Ziel ist eine politische Einigung im Trilog noch in dieser Legislaturperiode.

Produktverbote zeigen Wirkung

In den letzten Jahren sind Produktverbote in Zusammenhang mit Zwangsarbeit global verstärkt in den Fokus gerückt. In den USA besteht beispielsweise bereits seit 1930 ein Importverbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten, welches seit 2016 vermehrt vom Zoll durchgesetzt wird. Dies hat nicht nur zu konkreten Verbesserungen im Einzelfall geführt, sondern war auch Katalysator für Veränderung in besonders betroffenen Sektoren und Regionen insgesamt.

Die EU will nun mit einem eigenen Produktverbot nachziehen. Nach dem Vorschlag der Kommission würde ein solches Verbot alle Produkte erfassen, bei welchen in der Gewinnung, Ernte, Erzeugung oder Herstellung Zwangsarbeit eingesetzt wurde. Das Verbot gälte unabhängig davon, ob die Zwangsarbeit innerhalb oder außerhalb der EU stattfand. Betroffene Produkte dürften dann weder in den Verkehr gebracht werden, noch importiert oder exportiert werden.

Parlament und Rat wollen den Verordnungsentwurf entscheidend verändern

Im Oktober 2023 haben die zuständigen Ausschüsse des Europäischen Parlaments – die Ausschüsse für internationalen Handel (INTA) und Binnenmarkt (IMCO) – über einen Bericht über den Verordnungsvorschlag abgestimmt, der das Verhandlungsmandat des Parlaments im Trilog bilden wird. Darin schlugen die Ausschüsse entscheidende Verbesserungen vor:

  • Aufnahme einer Definition von und Anreize für Wiedergutmachung – zum Beispiel indem die durchsetzenden Behörden im Untersuchungsverfahren nach bereits in Gang gebrachten Wiedergutmachungsmaßnahmen fragen und indem eine Aufhebung einer Verbotsentscheidung von Wiedergutmachungsmaßnahmen abhängig gemacht wird;
  • Beweislastumkehr für solche Fälle, in denen die Kommission ein hohes Risiko staatlicher Zwangsarbeit identifiziert;
  • eine stärkere Rolle für zivilgesellschaftliche Organisationen;
  • eine Durchsetzungsfunktion der Kommission neben den 27 Durchsetzungsbehörden der Mitgliedstaaten.

Auch nach der Ratspositionierung hätte die Kommission eine stärkere Rolle – so würden über einen Single Information Submission Point Beschwerden bei ihr eingehen, welche sie bei einem Unionsinteresse selbst verfolgen oder sonst an nationale Behörden weiterleiten kann.

Die EU-Verordnung hat das Potenzial, ein wichtiges Momentum für konkrete und weitreichende Veränderungen aufzubauen. Dafür sind Elemente aus beiden Positionen wichtig – eine kohärente Umsetzung geleitet durch die Kommission, ausgerichtet auf Wiedergutmachungsmaßnahmen unter Einbindung von Zivilgesellschaft und unterstützt durch angemessene Beweisregelungen.

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Foto: Dominik Luckmann/ unsplash.com

Ein Jahr Lieferkettengesetz: Zivilgesellschaft sieht erste positive Wirkungen

Heike Drillisch, CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung & Annabell Brüggemann, ECCHR

Nach einem Jahr Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) sehen zivilgesellschaftliche Netzwerke erste positive Auswirkungen: Unternehmen intensivieren ihr menschenrechtliches Risikomanagement. Betroffene, Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften beginnen, den Beschwerdemechanismus zu nutzen. Es gibt aber auch Verbesserungsbedarf.

Seit dem 1.1.2023 gelten mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) erstmals verbindliche Pflichten zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards in den Lieferketten deutscher Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden. Seit 2024 werden auch Unternehmen ab 1.000 Mitarbeiter*innen vom LkSG erfasst. Das CorA-Netzwerk, die Initiative Lieferkettengesetz und die Kampagne für Saubere Kleidung haben dies zum Anlass genommen, mit einer Pressemitteilung eine erste Bilanz zu ziehen.

Unternehmen schenken Sorgfaltspflichten mehr Beachtung und zeigen erhöhte Verhandlungsbereitschaft

Für eine umfassende Bewertung der Auswirkungen des LkSG ist es zwar noch zu früh. Dennoch kommen die Netzwerke zu dem Schluss, dass das Gesetz bereits wichtige Hebel für Veränderung mit sich gebracht hat. Viele Unternehmen arbeiten seit Einführung des LkSG daran, ihre Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten umzusetzen. Insbesondere mit Blick auf die Einrichtung und Nutzung unternehmensinterner Beschwerdemechanismen zeigen sich bereits greifbare Fortschritte: Nach ersten Beschwerden von Betroffenen und zivilgesellschaftlichen Organisationen setzten sich einzelne Unternehmen zum ersten Mal mit Vertreter*innen lokaler Gewerkschaften zusammen, um konkrete Präventions- und Abhilfemaßnahmen auszuhandeln. Hier zeigt das Gesetz bereits Wirkung und stärkt die Position der Betroffenen, NGOs und Gewerkschaften im Dialog mit Unternehmen. Entscheidend ist dabei weiterhin, dass Unternehmen ihre Beschwerdeverfahren bei Arbeiter*innen in der Lieferkette wirklich bekannt machen und Zugänglichkeit und Vertrauen in die Nutzung aufbauen.

BAFA nimmt Tätigkeit auf

Auch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hat seine Tätigkeit als Kontrollbehörde aufgenommen und neben der Bearbeitung erster eingehender Beschwerden insbesondere überprüft, ob Unternehmen eine angemessene Struktur zur Beachtung der Sorgfaltspflichten und einen Beschwerdemechanismus eingerichtet haben. Darüber hinaus hat es zahlreiche Hilfestellungen für Unternehmen veröffentlicht. Die Netzwerke begrüßen, dass das BAFA eine Handreichung zur Zusammenarbeit von Unternehmen in der Lieferkette erstellt hat, in der es klargestellt hat, dass die Sorgfaltspflichten von den großen Unternehmen nicht einfach an Zulieferer weitergereicht oder ausgelagert werden dürfen. Stattdessen müssen Unternehmen die Risiken partnerschaftlich angehen und ihre eigenen Geschäfts- und Beschaffungspraktiken anpassen. Diese Klarstellung ist wichtig, da einzelne Unternehmen und Wirtschaftsverbände in der Vergangenheit darüber klagten, dass kleine und mittlere Unternehmen von Fragebögen zu ihren Sorgfaltspflichten überflutet würden. Dies entspricht jedoch nicht dem Sinn des Gesetzes. Schutzwirkung entfaltet es dann, wenn die schwerwiegendsten Risiken angegangen werden und nicht, wenn nach dem Gießkannenprinzip alle direkten Zulieferer analysiert werden.

Kritik: BAFA muss Betroffene stärker einbinden

Trotz der grundsätzlich positiven Einschätzung gibt es noch großen Verbesserungsbedarf mit Blick auf die Umsetzung des LkSG. Organisationen aus dem CorA-Netzwerk und seinen Partner-Netzwerken reichten gemeinsam mit Betroffenen erste Beschwerden bei der Kontrollbehörde ein. Hier zeigt sich zwar die Bereitschaft des BAFA, die Hürden für eingehende Beschwerden nicht zu hoch anzusetzen und diesen dann auch ernsthaft nachzugehen. Auf deutliche Kritik stößt jedoch die bisher sehr enge Auslegung des Gesetzes mit Blick auf die Beteiligung der Antragsteller*innen am weiteren Verfahren.  So erhalten Betroffene wenig Einblick in den Fortgang des Verfahrens, sobald die Behörde entschieden hat, tätig zu werden. Betroffene sind aber nicht nur Expert*innen für die Lage vor Ort, sondern auch für die Frage, was im Einzelfall angemessene und wirksame Maßnahmen sind, um zum Beispiel die Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern. Sie müssen daher umfassend in die Prozesse zur Bearbeitung der Beschwerden eingebunden werden. Andernfalls werden Betroffene wenig Sinn darin sehen, sich mit einer Beschwerde an das BAFA zu wenden, zumal sie damit vor Ort unter Umständen ein hohes Risiko von Repressionen eingehen. Das BAFA sollte die Beteiligung und Information von Betroffenen an dem Verfahren daher in Zukunft unbedingt ausbauen. Nur so kann Vertrauen in den Mechanismus geschaffen und damit seine effektive Nutzung für die Zukunft sichergestellt werden.

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Foto: Markus Spiske / unsplash.com

Von Berichtspflichten und „Bürokratiemonstern“

Heike Drillisch, CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung

Berichtspflichten sind ein Kernelement der Sorgfaltspflichten, damit Unternehmen ihre Risikoanalysen und ergriffenen Maßnahmen transparent darstellen. Immer wieder werden sie jedoch als „Bürokratiemonster“ gebrandmarkt und ihre Abschaffung gefordert – zu Unrecht.

Nicht umsonst weisen die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP) den Berichtspflichten große Bedeutung zu. Transparenz ist unerlässlich, damit Betroffene die unternehmerischen Aussagen über Einhaltung von Sorgfaltspflichten überprüfen und durch Hinweise ergänzen können. Zudem wollen auch immer mehr Verbraucher*innen wissen, wie die Produkte, die sie kaufen, hergestellt wurden, um ihr Einkaufsverhalten entsprechend auszurichten. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) hat dies daher aufgegriffen und verlangt von Unternehmen einen jährlichen Bericht über deren Risikoanalysen und ergriffene Maßnahmen. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hat auf seiner Website eine entsprechende Berichtsmaske aufgebaut, durch die die Berichte vergleichbar werden. Erstmalig sind die Unternehmensberichte zum 1. Juni 2024 fällig.

Die Mär vom „Bürokratiemonster Berichtspflicht“

Zahlreiche Unternehmensvertreter*innen haben bereits betont, dass die Berichte keine Überforderung darstellen, sofern ein Unternehmen seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen ist. Dennoch setzen die Wirtschaftsverbände alles daran, die Berichtspflichten in ein schlechtes Licht zu rücken und als reine Bürokratie abzustempeln. In Hinblick auf das kommende EU-Lieferkettengesetz wird zudem das Bild der doppelten Berichtspflichten bemüht.

Bei Debatten über die angeblichen bürokratischen Lasten durch Sorgfaltspflichtengesetze wird jedoch allzu oft der fundamentale Zweck des LkSG außer Acht gelassen: Ziel des Gesetzes ist, Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden durch deutsche Unternehmen in globalen Lieferketten zu reduzieren. Bericht zu erstatten, wie und mit welchen Ergebnissen ein Unternehmen Risiken in seinen Wertschöpfungsketten analysiert hat und welche Maßnahmen es ergriffen hat, um diesen Risiken zu begegnen, ist wichtiger Bestandteil der Sorgfaltspflichten.

Die europäische Berichterstattungs-Richtlinie CSRD

In der Tat hat die EU schon 2022 die EU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) beschlossen. Sie soll die Rechenschaftspflicht europäischer Unternehmen über Nachhaltigkeitsaspekte erhöhen und verbindliche Berichtsstandards auf Ebene der EU einführen. Anders als das LkSG schreibt die CSRD aber keine unternehmerischen Maßnahmen vor und sie verlangt nicht, dass Unternehmen darüber berichten sollen, wie sie wesentliche Auswirkungen und Risiken aus der Wertschöpfungskette identifizieren und bewerten. Von der CSRD betroffen sind große Unternehmen und kapitalmarktorientiere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ab 250 Beschäftigte. Erste große Unternehmen müssen erstmalig über Geschäftsjahre ab 1.1.2024 berichten; für alle anderen gelten zum Teil lange Übergangsfristen. Bis zum Sommer 2024 muss die CSRD in nationales Recht umgesetzt werden. Das europäische Lieferkettengesetz CSDDD sieht, anders als von Wirtschaftsverbänden oft behauptet, dagegen keine umfangreichen neuen Berichtspflichten vor, da sie dafür auf die CSRD verweist und nur diejenigen Unternehmen, die davon nicht erfasst sind, ein zusätzliches Statement abgeben sollen. Über Klimaschutzmaßnahmen müssen Unternehmen gemäß CSRD sowieso schon berichten.

Von „doppelten“ Berichtspflichten zu sprechen, ist trotz der parallelen Entstehung von CSRD und LkSG-Berichtspflichten irreführend. Denn es geht bei beiden Vorschriften weitgehend um dieselben Inhalte: Menschenrechts- und Umweltschutz in den Lieferketten. Die von der EU zum Teil schon entwickelten, zum Teil noch in Vorbereitung befindlichen Indikatoren für die Berichte decken sich in weiten Teilen mit den Anforderungen des LkSG. Einige zusätzliche Fragen des LkSG-Fragenkatalogs sind allerdings zentral für eine sinnvolle Überprüfung der Strategien und Maßnahmen der Unternehmen.

Bundesregierung gefragt: Angleichung ohne Abschwächung der Berichtspflicht

In einem Statement haben das CorA-Netzwerk und die Initiative Lieferkettengesetz wichtige Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der CSRD und der LkSG-Berichtspflicht herausgestellt. Sie kommen zu dem Schluss, dass dort, wo es Doppelungen ohne zusätzlichen Nutzen gibt, die Bundesregierung eine praktikable Lösung finden sollte. Dabei darf es aber nicht zu einer Aufweichung der Berichtspflichten kommen. Denn die Berichte über das Risikomanagement und ergriffene Maßnahmen sind keine unnütze Bürokratie, sondern wesentlich, um zu überprüfen, ob Unternehmen angemessen ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen. Sie abzuschwächen wäre sowohl für den Schutz der Betroffenen kontraproduktiv als auch eine Geringschätzung aller Unternehmen, die bereits nach dem LkSG aktiv geworden sind.

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Foto: freepik

Freiwillige Nachhaltigkeitsstandards: NGOs veröffentlichen Papier zu Siegeln und Zertifizierungen im Kontext des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes

Felix Roll, Werkstatt Ökonomie

Um ihren Sorgfaltspflichten im Sinne des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes nachzukommen, nutzen viele Unternehmen Siegel und Zertifizierungen. In einem neuen Papier zeigen zivilgesellschaftliche Organisationen, welche Kriterien zur Bewertung freiwilliger Nachhaltigkeitsstandards wichtig sind.

Der Damm einer Eisenerzmine nahe Brumadinho in Brasilien bricht zusammen – nur vier Monate, nachdem TÜV Süd dessen Stabilität zertifizierte. 272 Menschen kommen dabei ums Leben. In Sri Lanka und Ghana werden auf Tee- und Kakaoplantagen Zwangsarbeit und Hungerlöhne festgestellt – obwohl sie von Fairtrade, Rainforest Alliance und UTZ zertifiziert wurden. Es sind Beispiele wie diese, die freiwillige Nachhaltigkeitsstandards bei der Umsetzung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) in Frage stellen. CorA, das Forum Menschenrechte, die Initiative Lieferkettengesetz und VENRO haben sich solche Standards genauer angesehen und zeigen in ihrem neuen Diskussionpapier, welche Kriterien sie erfüllen müssen, um die Einhaltung unternehmerische Sorgfaltspflichten zu unterstützen.

Positive Effekte von Standards überschaubar

Eine Vielzahl von Nachhaltigkeitsstandards bieten Zertifizierungen für nahezu alle Aspekte von Lieferketten an. Dabei reicht die Bandbreite von einzelnen Produkttests bis hin zu mehrjährigen Entwicklungsprogrammen. Diese Zertifizierungen werden von Unternehmen auch genutzt, um Teile ihrer Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Doch es gibt Zweifel an ihrem Nutzen. Das gemeinsame Diskussionspapier der Netzwerke hat die Grenzen aktueller Siegel und Zertifizierungen analysiert. Das Ergebnis ist ernüchternd: Die meisten Standards weisen gravierende strukturelle Mängel auf und wirken sich kaum auf elementare, aber eher unsichtbare Schutzgüter aus, wie etwa das Recht auf Vereinigungsfreiheit. Außerdem deckt kein Standard alle relevanten Aspekte der Sorgfaltspflichten ab. Siegel und Zertifizierungen können also nur punktuell einen Beitrag zu Schutzgütern, Lieferketten oder Sorgfaltspflichten leisten. Klar ist hierbei auch, dass die Sorgfaltspflichten immer in der Verantwortung der Unternehmen bleiben und nicht an Standards weitergegeben werden können.

Es braucht klare und anspruchsvolle Kriterien

Das gemeinsame Diskussionspapier der Netzwerke zeigt nicht nur die Grenzen aktueller Siegel und Zertifizierungen auf, sondern schlägt auch konkret Kriterien vor, um Standards angemessen bewerten zu können. Diese betrachten die grundlegende Eignung, das Anwendungsgebiet und die Wirkung von Standards. Es wird also dargelegt, wie und unter welchen Umständen Standards eingesetzt und welche Erwartungen an sie gestellt werden können. Die im Papier formulierten Kriterien können Unternehmen und insbesondere dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) als Orientierung dienen, um den Beitrag von Standards zur Gesetzeseinhaltung zu bewerten. So legt das Papier etwa dar, dass Standardsysteme klar nachweisen müssen, auf welche LkSG-Anforderungen sie einzahlen können. Sie müssen transparent und nachvollziehbar aufzeigen, wie sie die Anforderungen umsetzen und überprüfen. Dabei müssen die Ursachen und Wechselbeziehungen von Rechtsverletzungen klar adressiert und somit auch existenzsichernde Löhne und faire Einkaufspraktiken in den Blick genommen werden. Außerdem braucht es klare Vorgaben und geeignete Methoden für die Prüfung der Standards.

Die detaillierte Darstellung der Kriterien für freiwillige Nachhaltigkeitsstandards können Sie im Diskussionspapier Standards & Zertifizierungen: Anforderungen im Rahmen gesetzlicher Sorgfaltspflichten aus zivilgesellschaftlicher Sicht lesen.

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Foto: Etty Fidele / unsplash.com

Maßnahmen zu Living Income des Forum Nachhaltiger Kakao sind unzureichend

Evelyn Bahn, INKOTA

Die bisherigen Maßnahmen der Mitglieder des Forums Nachhaltiger Kakao reichen nicht aus, damit Kakaoproduzent*innen über ein existenzsicherndes Einkommen verfügen können. In einer Stellungnahme fordern zivilgesellschaftliche Organisationen aus dem Forum Nachhaltiger Kakao, dass Unternehmen existenzsichernde Preise und langfristige Geschäftsbeziehungen mit Produzent*innengruppen zum Bestandteil ihrer Einkaufspraktiken im Kakaosektor machen.

Die Mitglieder der Multi-Stakeholder-Initiative „Forum Nachhaltiger Kakao“ haben sich im Juni 2023 gemeinsam dazu bekannt, sich dafür einzusetzen, dass bis zum Jahr 2030 90% der Kakaobauernhaushalte, die die Mitglieder mit Kakao beliefern, ein existenzsicherndes Einkommen erzielen können. Anlässlich der Veröffentlichung des Monitoringberichts 2022 des Kakaoforums betonten zivilgesellschaftliche Organisationen in einer gemeinsamen Stellungnahme, dass bisherige Maßnahmen noch unzureichend sind, um das Ziel bis 2030 erreichen zu können. Mit dem Südwind Institut, dem Forum Fairer Handel und dem INKOTA-netzwerk wurde die Stellungnahme auch von Trägerorganisationen des CorA-Netzwerks mitgezeichnet.

Im Forum Nachhaltiger Kakao sind neben der Bundesregierung, vertreten durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, auch die deutsche Süßwarenindustrie, der deutsche Lebensmittelhandel und zivilgesellschaftliche Organisationen aktiv. Seit 2019 veröffentlicht das Forum Nachhaltiger Kakao jährlich einen Bericht, um die Fortschritte beim Erreichen der selbst gesteckten Ziele zu den vielfältigen sozialen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen im Kakaosektor zu zeigen.

Mehrheit der Kakaoproduzent*innen lebt in Armut

Zehn Jahre nach Gründung des Forums war das Bekenntnis zu existenzsicherndem Einkommen ein dringend notwendiger Durchbruch. Denn Armut unter Kakaoproduzent*innen gilt nicht nur als Menschenrechtsverletzung, sondern ist auch eine der Hauptursachen für Kinderarbeit und Entwaldung. Daten des kürzlich veröffentlichten Monitoringberichts zeigen jedoch, dass die Einkommenslücke selbst bei der Mehrheit der Produzent*innen, an die sich die Projekte der Forums-Mitglieder richten, bislang nicht geschlossen wurde. So wurden für lediglich 20.000 Tonnen Kakao der von Fairtrade berechnete „Living Income Reference Price“ bezahlt und damit nur für einen Bruchteil des Gesamtkakaos der Forums-Mitglieder. Einen Hauptgrund für den fehlenden Fortschritt macht die Zivilgesellschaft darin aus, dass die Mitglieder des Kakaoforums vor allem Strategien im Bereich der Anbaupraktiken und zur Verbesserung der Produktivität verfolgen. Maßnahmen, die auf die Zahlung höherer Preise oder Prämien setzen, werden hingegen deutlich seltener verfolgt. Dabei können existenzsichernde Einkommen nur durch ganzheitliche Strategien (smart mix) erreicht werden, so die Unterzeichner der Stellungnahme. Dazu gehört auch, dass Unternehmen der Kakao- und Schokoladenindustrie und des Lebensmitteleinzelhandels existenzsichernde Preise an die Kakaoproduzent*innen bezahlen.

Nachhaltigkeitsanstrengungen der Produzent*innen werden unzureichend honoriert

Während die Nachhaltigkeitsanforderungen – auch im Kontext des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes – gegenüber Produzent*innen stetig steigen, vermissen zivilgesellschaftliche Organisationen die fehlende Bereitschaft der Unternehmensmitglieder, die Anstrengungen der Produzent*innen angemessen zu honorieren.  So ist die Prämienhöhe, die die Forumsmitglieder ihren Produzent*innen zahlen, bisher enttäuschend niedrig. Mit durchschnittlich 174 Dollar pro Tonne im Hauptanbauland Côte d’Ivoire liegt sie deutlich unter der garantierten Mindestprämie von Fairtrade (240 Dollar pro Tonne). Die zivilgesellschaftlichen Organisationen sehen zudem weiterhin eine Transparenzlücke. Nach wie vor fehlt bei vielen Unternehmensmitgliedern die Bereitschaft, Daten zur Einkommenssituation der Produzent*innen in ihren Lieferketten zu teilen. Damit wird eine evidenzbasierte Strategieentwicklung für die Mitglieder des Kakaoforums erschwert.

Existenzsichernde Preise müssen Teil der Strategie sein

Die Wirksamkeit des Forums Nachhaltiger Kakao muss in den kommenden Jahren daran gemessen werden, ob Produzent*innen in den Kakao-Lieferketten der Mitglieder über ein existenzsicherndes Einkommen verfügen. Dies stellt eine Grundvoraussetzung dar, damit Menschenrechtsrisiken reduziert werden. Aus Sicht der Zivilgesellschaft wird dies nur gelingen, wenn die unternehmerischen Mitglieder ihre Einkaufspraktiken grundlegend verändern. Die Zahlung existenzsichernder Preise und die Etablierung langfristiger Geschäftsbeziehungen mit Produzent*innengruppen müssen zum integralen Bestandteil von Unternehmensstrategien für existenzsichernde Einkommen gemacht werden.

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Foto: Tamanna Rumee / unsplash.com

Reform des Vergaberechts: Menschenrechte und Fairer Handel endlich verbindlich machen

Johanna Fincke, Romero-Initiative (CIR)

Das Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) steckt mitten in der Reform des Vergaberechts. Dabei steht vor allem die Vereinfachung im Fokus, doch auch soziale und ökologische Kriterien sollen laut Aussagen des Ministeriums gestärkt werden. Die Mehrheit der Bevölkerung begrüßt das, wie eine aktuelle Umfrage zeigt.

Die aktuelle Reform soll öffentliche Vergabeverfahren vereinfachen und beschleunigen sowie soziale und ökologische Kriterien stärken. Dies ist auch im Koalitionsvertrag verankert. Wirtschaftsverbände lehnen die verbindliche Regulierung im Umwelt- und Sozialbereich jedoch weiterhin ab. Dabei steht die Bevölkerung einer klaren Vorgabe des Bundes für einen fairen Einkauf von Bund, Ländern und Kommunen sehr positiv gegenüber, wie eine aktuelle forsa-Umfrage der Romero-Initiative (CIR) zeigt.

Bürger*innen begrüßen faire Beschaffung per Gesetz

Nach der Umfrage halten es drei von vier Menschen für wichtig oder sehr wichtig, dass die öffentliche Hand beim Einkauf von Produkten und Gütern darauf achtet, dass sie unter fairen Bedingungen produziert wurden – auch wenn sie dann teurer sind. Eine Mehrheit der Umfrageteilnehmenden fände es außerdem gut oder sehr gut, wenn die Bundesregierung den Aspekt der Nachhaltigkeit beim öffentlichen Einkauf gesetzlich verankert. 67 Prozent der Befragten würden es begrüßen, wenn Kommunen und Länder zukünftig verpflichtet werden, faire oder klimafreundliche Produkte immer zu bevorzugen.

Dies macht deutlich: Die Bundesregierung täte gut daran, selbst als Vorbild der sozial ökologischen Transformation voranzugehen. Die Wirkung der öffentlichen Einkaufsmacht auf die Wirtschaft (insbesondere kleine und mittlere Unternehmen) ist erschöpfend wissenschaftlich bewiesen, insbesondere in Zeiten abflauender Konjunktur. Darüber hinaus ist die Regierung gemäß den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verpflichtet, der eigenen Schutzpflicht nachzukommen, indem sie bei der öffentlichen Auftragsvergabe die Achtung der Menschenrechte sicherstellt.

Zivilgesellschaft fordert verbindliche Nachhaltigkeit im neuen GWB

Im öffentlichen Konsultationsprozesses des letzten Jahres wurde zunehmend deutlich, dass zahlreiche Interessensverbände für den Abbau von Regeln eintreten. Damit laufen soziale und ökologische Kriterien Gefahr, dem Primat der „Verschlankung“ untergeordnet zu werden. Insgesamt 18 zivilgesellschaftliche Organisationen und Bündnisse haben deshalb noch im Dezember ein Positionspapier an das BMWK geschickt. Sie fordern, dass Nachhaltigkeit ein zentrales Kriterium von Wirtschaftlichkeit wird. Im Rahmen der Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sollte die Definition der Wirtschaftlichkeit deshalb dahingehend überarbeitet werden. Dabei gehören alle drei Dimensionen von Nachhaltigkeit zwingend und immer dazu und sind nicht beliebig austauschbar.

In der Reform des Vergaberechts müssen die sozialen Kriterien von einer „Kann-“ zu einer „Muss-Bestimmung“ werden. Dabei ist es wichtig, dass die Bundesregierung klarstellt, dass diese Kriterien nicht mehr nur in den zusätzliche Auftragsausführungsbestimmungen verpflichtend eingebunden werden sollen, sondern in jeder Stufe des Auftragsverfahrens Anwendung finden können. Unter soziale Nachhaltigkeitsaspekte fallen etwa die ILO-Kernarbeitsnormen und die Kriterien des fairen Handels. Darüber hinaus sollten – im Sinne einer einheitlichen Rechtsordnung – die Regelungen im Vergaberecht ab Erreichen des EU-Schwellenwerts diejenigen Rechtspositionen übernehmen, die im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz geschützt und bereits als Teil der unternehmerischen Sorgfaltspflicht etabliert sind.

Reformpläne der Bundesregierung

Wie genau die Bundesregierung die Vergaberegeln reformieren will, ist bisher nicht schriftlich festgehalten. Erste Verlautbarungen des Bundeswirtschaftsministeriums machen jedoch deutlich, dass eine wesentliche Erhöhung des Schwellenwerts für Direktaufträge geplant ist. Mit einer solchen Regelung würde das BMWK der Forderung nach Beschleunigung und Vereinfachung, die vor allem von Seiten der Interessensverbände der Wirtschaft und Kommunen sowie der FDP geäußert werden, entgegenkommen.

Gleichzeitig ist offenbar geplant, bisherige Kann-Vorschriften zur Einhaltung sozialer und ökologischer Kriterien verbindlicher zu gestalten. Dies ist dringend notwendig, wie auch eine 2022 veröffentlichte Studie des Bundesrechnungshofs zeigt. Sie kam zu dem Ergebnis, dass Nachhaltigkeitsaspekte bei der Beschaffung in Bundesbehörden bislang völlig unzureichend angewandt werden. Inwieweit am Ende die Forderungen aus der Zivilgesellschaft zur GWB-Reform Eingang finden und inwiefern im Rahmen der Reform öffentlicher Vergabeverfahren (VgV) Kohärenz zu den Anforderungen des Lieferkettengesetzes hergestellt wird, bleibt abzuwarten. Insgesamt wäre es wünschenswert, wenn über der Gesetzesreform das Primat der sozial ökologischen Transformation stände und nicht lediglich das der „Verschlankung“ – und die Bundesregierung beim eigenen Einkauf die Anforderungen des Lieferkettengesetzes selbst einhält. Auch um ökonomische Anreize für KMUs zu schaffen, sich fit für menschenrechtliche Sorgfaltspflichten zu machen.

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Foto: Nabil Molinari / flickr

Brennpunkt Monopolmacht: Kartellrechtsreform und Bauernproteste

Ulrich Müller, Initiative Konzernmacht beschränken

Das Kartellrecht scheint in aller Munde. Die Bauernproteste rücken die Marktmacht der Supermarktketten erneut in den Fokus, mehrere NGOs veröffentlichen wichtige Studien zur Monopolmacht im Zuge des Weltwirtschaftsforums in Davos und das Wirtschaftsministerium arbeitet an der nächsten Kartellrechtsreform.

Pünktlich zum Weltwirtschaftsforum in Davos erschienen gleich zwei Studien zu Monopolmacht: von Oxfam und von vier NGOs rund um das Balanced Economy Project. Sie belegen, dass Monopolmacht zu höheren Preisaufschlägen führt und Ungleichheiten verschärft.

Zugleich entbrannte nach den Bauernprotesten eine Debatte um die Marktmacht der Supermarktketten. Die Ampel und das Bundeskartellamt sollten hier aktiv werden und das Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz (AgrarOLKG) verbessern, um unfaire Handelspraktiken zu begrenzen. Nötig wäre unter anderem eine Ombudstelle, die Preise und Margen beobachten kann. Die Initiative Konzernmacht beschränken hat das Bundeskartellamt aufgefordert, seine neuen Befugnisse aus der letzten Kartellrechtsreform zu nutzen und eine Sektor-Untersuchung zum Lebensmitteleinzelhandel zu starten. Diese könnte Maßnahmen bis zu einer Aufspaltung der vier großen Ketten Edeka, Rewe, Aldi und Lidl verhängen, um die Konzentration der letzten Jahre rückgängig zu machen.

Neue Kartellrechtsreform in Vorbereitung

Parallel läuft die nächste Kartellrechtsreform an. Anfang Dezember endete eine Konsultation des Wirtschaftsministeriums zur Modernisierung des Wettbewerbsrechts. Sie umfasste etwa die Themen Fusionskontrolle und Nachhaltigkeitskooperationen. Aus der Zivilgesellschaft gab es verschiedene Stellungnahmen, etwa von der Initiative Konzernmacht beschränken sowie dem CorA-Netzwerk. Sie betonen, dass Machtkonzentration eine Gefahr für das Gemeinwohl, die Demokratie und eine sozial-ökologische Transformation darstellt. Sie plädieren dafür, konsequent gegen Konzernmacht vorzugehen und das Kartellrecht zu stärken. Die Fusionskontrolle muss strikter werden, um die weitere Konzentration ökonomischer Macht zu verhindern. So sollten auch außerwettbewerbliche Gemeinwohlziele berücksichtigt und eine Untersagung von Fusionen aus Gemeinwohlgründen möglich werden. Dies betrifft beispielsweise Fusionen, die soziale und ökologische Nachhaltigkeitsziele nicht einhalten, sowie den Schutz der Demokratie vor konzentrierter Macht.

Ministererlaubnis birgt Risiko gezielter Beeinflussung

Problematisch ist auch die sogenannte Ministererlaubnis: Danach kann der Wirtschaftsminister bereits vom Bundeskartellamt untersagte Fusionen doch erlauben, so wie die Übernahme von Tengelmann durch Edeka unter Sigmar Gabriel. Eine solche Ministererlaubnis sollte in hochkonzentrierten Märkten nicht mehr möglich sein. Statt der Entscheidung eines einzelnen Ministers sollte das Parlament oder zumindest das gesamte Kabinett entscheiden. Das mindert das Risiko gezielter Beeinflussung eines einzelnen Ministers und bindet die Sichtweisen unterschiedlicher Ressorts ein.

Nachhaltiger Wettbewerb als Leitbild des Kartellrechts

Die Bedeutung von Nachhaltigkeit im Kartellrecht sollte über (begrenzte) Ausnahmen für Nachhaltigkeitskooperationen hinausgehen. Stattdessen muss nachhaltiger Wettbewerb als Leitbild im Kartellrecht verankert und die Abwälzung sozialer und ökologischer Kosten auf die Allgemeinheit als Marktmachtmissbrauch erfasst werden. Wie weit der Reformwille des Wirtschaftsministeriums hier geht, bleibt jedoch abzuwarten. Bei Modellprojekten wie Multi-Stakeholder-Initiativen, an denen die Zivilgesellschaft und Rechteinhabende beteiligt sind, sollte es Erleichterungen geben. Dabei muss auch die soziale Dimension der Nachhaltigkeit berücksichtigt werden. Gleichzeitig sollten keine zu großzügigen Ausnahmen für Nachhaltigkeitsvereinbarungen geschaffen werden, um Greenwashing zu vermeiden.

Mehr zu den Monopolmacht-Studien und aktuelle Nachrichten zum Thema unter www.rebalance-now.de.

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Foto: freepik

Außenwirtschaftsförderung: Neue Chancen für Umwelt- und Menschenrechtsstandards

Tina Haupt, WEED e.V.

Die Bundesregierung unterstützt die deutsche Wirtschaft mit Bürgschaften in Milliardenhöhe im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung. Die Förderung konzentriert sich vor allem auf Länder mit schwacher Regulierung und kritische Großprojekte – und bietet daher die Chance, Umwelt- und Menschenrechtsstandards global durchzusetzen.

Jährlich bürgt die Bundesregierung für die globalen Geschäftstätigkeiten deutscher Unternehmen – insbesondere in Ländern, die durch wirtschaftliche Risiken, oft aber auch durch problematische Menschenrechtslagen und schwache Regulierung gekennzeichnet sind. Allein im Jahr 2022 umfassten diese Bürgschaften insgesamt 30 Milliarden Euro. Sie ermöglichen Unternehmen oft erst Geschäfte, die ansonsten zu risikobehaftet wären. Hermesbürgschaften dienen dabei der Exportförderung, Investitionsgarantien sichern Auslandsinvestitionen ab und mit Garantien für ungebundene Finanzkredite fördert die Bundesregierung Rohstoffvorhaben im Ausland.

Aktuelle Standards genügen nicht

Projekte mit einer Laufzeit von mehr als 2 Jahren und einem Umfang von mehr als 15 Millionen Euro werden einer sogenannten Umwelt-und Menschenrechtsprüfung (USM-Prüfung) unterzogen. Die Umsetzung dieser USM-Standards ist jedoch mangelhaft. Das zeigt beispielsweise das Projekt zur Erweiterung der Bauxit-Mine in Sangaredi, Guinea. Die deutsche ING DiBa Bank gab dem halbstaatlichen Bergbauunternehmen Compagnie de Bauxite Guinée (CBG) hierfür einen Kredit in Höhe von 293 Millionen US-Dollar. In den vergangenen Jahren bezog Deutschland bis zu 90 Prozent seiner Bauxit-Importe aus dieser Mine. Deshalb sicherte die Bundesregierung diesen Kredit mit einer Garantie für Ungebundene Finanzkredite (UFK) ab. Mit dem Vertrag verpflichtete sich das Unternehmen zwar zur Einhaltung der USM-Standards, in der Praxis wurden diese aber nicht konsequent umgesetzt, wie FIAN bei einem Besuch in Guinea im Dezember 2022 feststellte. Auch im Monitoring-Bericht der Firma Ramboll wurde auf die Missstände, etwa unzumutbare Luft- und Wasserverschmutzung, Sprengungen in der Nähe von Siedlungsgebieten oder die Umsiedlung auf unfruchtbares Land ohne ausreichende Entschädigungen, hingewiesen.

Interventionen zeigen erste Erfolge

In Gesprächen mit der Bundesregierung und dem Mandatar Euler-Hermes forderte das CorA-Netzwerk eine strengere Überwachung der geförderten Projekte und setzte sich dafür ein, dass Abhilfemaßnahmen eingeleitet werden. Nachdem FIAN eine Beschwerde über die akute Verschmutzung eines Flusses im Gebiet der Mine mit Fotos aus Guinea an den Mandatar weiterleitete, wurde Euler Hermes aktiv, so dass sich die Wasserqualität des Flusses im Anschluss deutlich verbesserte. Dieses Beispiel verdeutlicht das Potenzial, durch Außenwirtschaftsförderung zur Einhaltung von Umweltstandards und Menschenrechten beizutragen.

Kriterien für eine grundsätzliche Verbesserung der Vergabekriterien haben 25 Menschenrechts- und Umweltorganisationen vor den Bundestagswahlen in einem gemeinsamen Positionspapier zusammengefasst.

Einen Schritt in Richtung Klimaschutz hat die Bundesregierung nun unternommen. Ende 2023 traten so genannte „Sektorleitlinien“ für die deutsche Außenwirtschaftsförderung in Kraft. Mit diesen will die Bundesregierung die Vergabe ihrer Hermes-Exportkreditgarantien und Investitionsgarantien mit dem 1,5-Grad-Ziel von Paris in Einklang bringen und somit das Glasgow Statement, also das Versprechen, die direkte Unterstützung fossiler Energieträger mit öffentlichen Geldern zu beenden, einlösen. Die Leitlinien bleiben allerdings hinter dem zurück, was CorA-Trägerorganisationen gefordert hatten, und hätten deutlich ambitionierter ausfallen müssen, um zügig aus der fossilen Infrastruktur auszusteigen.

 

Regine Richter, Energie-Campaignerin bei urgewald: „Die Lobbyarbeit der deutschen Industrie hat zum Glück nicht zu einer massiven Schwächung der Leitlinien geführt. Doch die zahlreichen Ausnahmen im Regelwerk sind eine Gefahr für den Klimaschutz. Sollten sie intensiv angewandt werden, kann die Bundesregierung ihr Versprechen, die Außenwirtschaftsförderung mit dem 1,5-Grad-Ziel in Einklang zu bringen, nicht halten. Wird die Anwendung der Regeln hingegen strikt am Klimaschutz orientiert, sind sie ein Schritt in die richtige Richtung. Viel hängt jetzt von einer konsequenten Umsetzung ab.

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Foto: UN-Photo / Rick-Bajornas

Die 9. Verhandlungsrunde über den UN-Treaty zu Wirtschaft und Menschenrechten

Karolin Seitz, Global Policy Forum

Vom 23. bis 27. Oktober 2023 sind im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen rund 80 Staaten zusammengekommen, um weiter über ein internationales Menschenrechtsabkommen zur Regulierung von Unternehmen und ihrer Wertschöpfungsketten („UN-Treaty“) zu verhandeln. Nach einem schleppenden Start geht der Prozess am Ende überraschend gestärkt weiter.

Zunächst verlief die neunte Verhandlungsrunde sehr zäh. So konnten während der gesamten Woche lediglich die Präambel und die ersten drei Artikel des Abkommensentwurfs besprochen werden. Dies lag einerseits an mühsamen Verhandlungen über das Arbeitsprogamm direkt zu Beginn. So lehnte die afrikanische Gruppe den vom ecuadorianischen Vorsitzenden der Arbeitsgruppe vorgelegten Abkommensentwurf als Grundlage ab, da sie sich in die Erstellung des Entwurfs nicht eingebunden fühlte und ihre Anliegen aus vorherigen Verhandlungsrunden nicht berücksichtigt sah. Andererseits verlängerte sich die Diskussion aber auch durch eine erfreulich große Anzahl substanzieller Beiträge der Delegierten. Anders als in vorherigen Verhandlungsrunden brachten sie nicht vorgefertigte Stellungnahmen ein, sondern reagierten aufeinander und untermauerten ihre Formulierungsvorschläge mit konkreten Beispielen.

Diskussionen gehen bis ins Detail

Unter anderem wurde über die explizite Nennung von UN-Übereinkommen diskutiert. Brasilien, Honduras und Malawi sprachen sich beispielsweise dafür aus, dass die UN-Erklärung über das Recht auf Entwicklung, über Menschenrechtsverteidiger*innen und über die Rechte indigener Völker erwähnt werden. Bolivien, Südafrika, Malawi, Kolumbien und Ägypten forderten, zudem die UN-Erklärung über die Rechte von Bäuer*innen zu nennen. Auch die Umformulierung von „Unternehmenspflichten“ zu „Unternehmensverantwortung“ im vorliegenden Abkommensentwurf stand auf der Agenda. Während China, Ägypten, Malawi, Brasilien, Honduras, Kuba und Kolumbien die Umformulierung wieder rückgängig machen wollten, sprachen sich Großbritannien, die USA, Panama und Peru für eine sprachliche Orientierung an den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte aus. Diese sprechen von der Verantwortung von Unternehmen und der Pflicht von Staaten, die Menschenrechte zu schützen. Bei der Diskussion um die hochumstrittenen Artikel zu den Zielen des Abkommens und über den Anwendungsbereich konnte keine Einigung erzielt werden. Südafrika, Russland, Ghana, Iran, Malawi, China, Algerien, Indonesien, Pakistan, Honduras und Kolumbien forderten, dass der Treaty nur transnationale Konzerne und Unternehmen mit transnationalem Charakter regulieren solle. Mexiko, Panama, Chile, Peru und die USA hingegen sprachen sich für eine Regulierung aller Geschäftstätigkeiten aus.

Treaty Alliance Deutschland verfolgt die Verhandlungen kritisch

Insgesamt begrüßt die Treaty Alliance Deutschland die Straffung des aktualisierten Entwurfs und die Aufnahme einiger positiver Elemente. Zugleich kritisiert sie jedoch die Abschwächung einiger Artikel im Hinblick auf den Rechtsschutz Betroffener. Problematisch ist vor allem die Ergänzung an einigen Stellen, dass die vorgesehenen Regelungen, insbesondere wenn es um die staatliche Verpflichtung zur Einführung eines Haftungssystems geht, nur für den Fall gelten sollen, dass sie mit dem innerstaatlichen Rechtssystem vereinbar sind. Darüber hinaus kritisiert sie die Streichung jeglicher Referenz der Vorgängerversion zu Umwelt- und Klimaabkommen sowie der staatlichen Verpflichtung zur Einführung einer umwelt- und klimabezogenen Sorgfaltspflicht für Unternehmen.

Aktive Beteiligung der EU bleibt ungewiss

Besonders viele Beiträge kamen erneut vor allem aus Ländern des Globalen Südens, aber auch die USA und Großbritannien, erstmals dabei am Verhandlungstisch, brachten sich sehr aktiv in die Verhandlungen ein. In Ermangelung eines Verhandlungsmandats waren die EU und ihre Mitgliedstaaten während der neunten Verhandlungsrunde dagegen wiederum nur beobachtend dabei und meldeten sich mit wenigen allgemein gehaltenen Stellungnahmen zu Wort. Eine Mehrheit der Mitgliedstaaten, darunter auch die Bundesregierung, fordert bereits seit längerem eine aktive Beteiligung der EU an den Verhandlungen. Dies scheiterte bislang aber am Widerstand des Europäischen Auswärtigen Dienstes, der den EU-Mitgliedstaaten auch auf wiederholte Nachfrage bislang noch nicht einmal eine rechtliche Analyse des vorliegenden Abkommensentwurfs vorgelegt hat. Ein baldiger Eintritt der EU in die UN-Treaty-Verhandlungen wäre in ihrem Interesse, nicht nur um gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen weltweit zu schaffen, sondern auch, um die neue Dynamik im Prozess und die Möglichkeit, das Abkommen in ihrem Sinne mitzugestalten, nicht zu verpassen. Spätestens mit der Verabschiedung des EU-Lieferkettengesetzes wäre eine gute Grundlage für ein EU-Verhandlungsmandat für den UN-Treaty-Prozess gelegt.

Weitere Konsultationen geplant

Zur Überraschung aller schlug der Vorsitzende vor, dem UN-Menschenrechtsrat in seiner März-Sitzung 2024 eine neue Resolution zur Abstimmung vorzulegen. Die Resolution solle dem Prozess mehr finanzielle Mittel verschaffen, sodass die Verhandlungen intensiviert werden können. Nach informellen zwischenstaatlichen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen einigte man sich am letzten Verhandlungstag darauf, dem UN-Menschenrechtsrat lediglich eine verfahrensbezogene Entscheidung („procedural decision“) vorzulegen. Die Afrikanische Union, die lateinamerikanischen Staaten und die EU waren sich überraschend einig darin, keine neue Resolution zu wollen. Im Oktober 2024 gehen die Verhandlungen in die nächste (zehnte) Runde. Bis dahin, so wurde entschieden, soll es weitere zwischenstaatliche und thematische Konsultationen geben.

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Weitere Nachrichten aus dem Netzwerk:

  • In einem Offenen Brief Anlässlich des 30jährigen Bestehens des europäischen Binnenmarkts hat die EU-Kommission im März 2023 mit zwei Mitteilungen weitere Maßnahmen angekündigt, um den einheitlichen Markt durchzusetzen. In der Communication on ‚The Single Market at 30‘ und der Communication on competitiveness beschreibt sie ihre Pläne. Zivilgesellschaftliche Gruppen, darunter das CorA-Netzwerk, und Gewerkschaften sehen darin die große Gefahr, dass damit die sozial-ökologische Transformation zusätzlich behindert wird, demokratische Spielräume auf nationaler Ebene beschnitten werden und der Druck zur Deregulierung dazu führt, dass Verbraucher-, Umwelt- und Menschenrechtsschutz weiter reduziert werden. Gestützt wird diese Sichtweise durch eine Studie des Corporate Europe Observatory über 30 Jahre Binnenmarkt. In einem Offenen Brief an EU-Kommissare äußern die Organisationen ihre Sorge und fordern die EU-Kommission auf, der Dergulierung Einhalt zu gebieten, stattdessen Transparenz und Rechenschaft über Beschwerden zu Binnenmarktverletzungen zu erhöhen und die Möglichkeiten zur sozial-ökologischen Regulierung zu erhalten.
  • In einem Appell an die Bundesregierung zum Einbezug des Finanzsektors ins europäische Lieferkettengesetz (CSDDD) haben knapp 20 Organisationen, darunter das CorA-Netzwerk, dargelegt, welche Bedeutung der Finanzsektor für die Einhaltung der Menschenrechte und der planetaren Grenzen hat.