Der Treaty-Prozess auf UN-Ebene

Auf Initiative von Ecuador und Südafrika beschloss der UN-Menschenrechtsrat im Juni 2014 mit knapper Mehrheit die Einrichtung einer zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe (OEIGWG) zur Entwicklung verbindlicher Regeln für transnationale Unternehmen (Resolution 26/9). Sie soll ein internationales Abkommen („UN-Treaty“) erarbeiten, das für die Vertragsparteien verbindlich ist, klare Regeln für Unternehmen schafft und Betroffenen Klagemöglichkeiten eröffnet. Ein breites internationales Bündnis der Zivilgesellschaft (Treaty Alliance) begrüßte die Resolution und bringt sich aktiv in die laufenden Diskussionen ein.

Eine erste Tagung der eingerichteten Arbeitsgruppe fand im Sommer 2015 in Genf statt. Sie diente vor allem dem Gedankenaustausch zwischen Staaten, Nichtregierungsorganisationen und Expert*innen. Deutlich wurde dabei, dass in der Staatengemeinschaft noch viele Differenzen über das zu entwickelnden Abkommens bestanden. In einer zweiten Tagung im Oktober 2016 blieb die Auseinandersetzung zwischen Gegner*innen und Befürworter*innen des Abkommens zwar weiter ersichtlich, es konnte jedoch bereits ein konkreter Austausch über mögliche Inhalte des Abkommens stattfinden. Die Teilnahme von 80 Staaten zeugte zudem von einem gewachsenen Interesse am Prozess (zivilgesellschaftlicher Bericht über die zweite Tagung).

In einer dritten Sitzung im Oktober 2017 wurden mögliche Elemente des Abkommens diskutiert, die die ecuadorianische Verhandlungsleitung im Vorfeld vorgelegt hatte. Mit 101 anwesenden Staaten wurde ein Teilnahmerekord erzielt (zivilgesellschaftlicher Bericht über die dritte Tagung). Die Anregungen aus diesen Diskussionen sowie aus informellen Konsultationen, die im Mai/Juni 2018 stattfanden, nahm die Verhandlungsleitung in die Entwicklung eines ersten, im Juli 2018 veröffentlichten Entwurfstextes (Zero Draft) zum zukünftigen Abkommen auf. Grundlage für die fünfte Verhandlungsrunde im Oktober 2019 war der überarbeitete Entwurfstext (Revised Draft), der im Juli 2019 veröffentlicht worden war.

Der Revised Draft präzisiert den Zero Draft und hat in vielen Punkten an Stringenz und Klarheit gewonnen. In­halt­lich sieht der Revised Draft vor, dass Staaten Un­ter­neh­men ge­setz­lich zu Pro­zes­sen men­schen­recht­li­cher Sorg­falt ver­pflich­ten. In der Aus­ge­stal­tung der Sorg­falts­pflich­ten ori­en­tiert sich der Revised Draft dabei an den Vor­ga­ben der UN-Leit­prin­zi­pi­en für Wirt­schaft und Men­schen­rech­te. Bei Ver­let­zung ihrer Sorg­falts­pflich­ten sollen Un­ter­neh­men recht­lich zur Ver­ant­wor­tung gezogen werden. Der Revised Draft legt einen besonderen Fokus auf einen verbesserten Zugang zu Recht und Abhilfe von Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen. Die Hürden für Be­trof­fe­ne, gegen Men­schen­rechts­ver­stö­ße durch Un­ter­neh­men zu klagen, sollen ab­ge­baut werden und be­ste­hen­de Schutz­lü­cken ge­schlos­sen werden. Ein un­ab­hän­gi­ges Expert*in­nen-Ko­mi­tee soll die Um­set­zung des Ab­kom­mens über­wa­chen. Der Abkommensentwurf kommt den von der Europäischen Union (EU) und der Bundesregierung geäußerten Anliegen weit entgegen. So ist der Geltungsbereich des neuen Vertragsentwurfs nicht mehr auf transnationale Unternehmen oder Geschäfte mit transnationalem Charakter beschränkt. Er enthält auch keine direkten völkerrechtlichen Verpflichtungen für Unternehmen. Die Haftungsregeln im Fall von Menschenrechtsverstößen sind klar umrissen und mit Augenmaß formuliert.

Die Treaty Al­li­an­ce Deutsch­land be­grüß­te in einem ge­mein­sa­men State­ment den Text als gute Ver­hand­lungs­grund­la­ge und emp­fiehlt gleich­zei­tig Prä­zi­sie­run­gen und Er­gän­zun­gen des vor­lie­gen­den Ent­wurfs, etwa in der Frage des Vor­rangs von Men­schen­rechts­ver­pflich­tun­gen ge­gen­über den Pflich­ten aus Han­dels- und In­ves­ti­ti­ons­schutz­ab­kom­men.

Während der fünften Tagung der UN-Ar­beits­grup­pe zum Ab­kom­men im Oktober 2019 hatten Staaten wie auch die in­ter­na­tio­na­le Zi­vil­ge­sell­schaft Ge­le­gen­heit zur Kom­men­tie­rung des Ent­wurfs, die rege und kon­struk­tiv – mit ersten Annäherungen bei einzelnen Streitpunkten – genutzt wurde (tagesaktuelle zi­vil­ge­sell­schaft­li­che Be­rich­te zu den Ver­hand­lun­gen; Briefing „Verhandlungspfad gefunden“ inklusive Bewertung des Tagungsverlaufs und der Positionen). Bei der sechsten Tagung vom 26. bis 30. Oktober 2020 wurde ein zweiter über­ar­bei­te­ter Entwurf dis­ku­tiert (tagesaktuelle Berichte zu den Verhandlungen; Briefing Auf Stand-by bzw. On Standby mit Bewertung des Tagungsverlaufs und der Positionen insbesondere Deutschlands und der EU). Am 17. August 2021 wurde der dritte überarbeitete Entwurf für das Abkommen veröffentlicht. Die siebte Tagung fand vom 25. bis 29. Oktober 2021 statt. Hier gibt es Tagesberichte über die Verhandlungen sowie eine Kurzbewertung der Sitzung.

Vom 24. bis zum 28. Oktober 2022 tagte die zwischenstaat­liche Arbeitsgruppe zum achten Mal. Zuvor hatte der ecuadorianische Vorsitz neue informelle Vorschläge zu einzelnen Artikeln des Abkom­mens vorgelegt. Einen Bericht zur achten Tagung findet sich hier. Mit dem Bekenntnis der G7 im Juni 2022 zu einem international verbindlichen Abkommen und der mittlerweile mit­verhandelnden US-Regierung hat der Prozess neues Gewicht und neuen Aufwind bekommen. Die sogenannte „Friends of the Chair“-Gruppe, bestehend aus Aserbaidschan, Costa Rica, Frankreich, Indonesien, Kamerun und Portugal, soll bis zur nächsten Tagung im Oktober 2023 Kompromissvorschläge erarbeiten.