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Ein Beitrag von Berndt Hinzmann, INKOTA-netzwerk

 

Das Textilbündnis ist mit Ambitionen angetreten, die Branche sozial und ökologisch zu gestalten, sodass die Rechte aller Beschäftigen geachtet und das Klima und die Umwelt geschützt werden. Droht nun eine Abkehr von diesen einst hohen Ansprüchen?

Die Lieferketten der Textil- und Bekleidungsindustrie, inklusive der Lederwaren- und Schuhproduktion, sind nicht nur für die Wirtschaft der Produktionsländer von hoher Relevanz, sondern auch für Länder wie Deutschland. In der Statistik für Importe nach Warengruppen für 2023 belegt Bekleidung Platz 13, gefolgt von Leder und Lederwaren und Textilien – Warenwert: etwa 63,7 Mrd. Euro. Die Europäische Umweltagentur stellt in ihrem Bericht 2023 fest: Auf den Europäischen Markt gelangen bisher jährlich 12 Mio. Tonnen Textilien und laut Prognosen wird die Produktion von Textilfasern bis 2030 auf 145 Mio. Tonnen ansteigen. Das sind gigantische Produktionsmengen und Warenströme, die eine hohe Auswirkung auf die Umwelt und Menschen haben (Rohstoff- und Wasserverbrauch, Chemikalien, Treibhausgasemission, Abfall und Mikroplastik, Arbeitsrechte).

Gängige Einkaufspraktiken bedingen strukturelle Risiken

Eine ökonomische Analyse des Handelsblatt Research Instituts stellt im Zusammenhang mit dem Lieferkettengesetz fest: „Deutschland hat im Jahr 2018 in den Bereichen Elektronik und Bekleidung Waren […] bezogen, die möglicherweise unter Arbeitsbedingungen produziert wurden, die unter den Begriff der „modernen Sklaverei“ fallen.“ An dieser Situation hat sich in den letzten Jahren grundsätzlich nichts geändert. (Rundbrief I/2025: Kleider machen Probleme)  Strukturell bedingte Risiken sind die Ursache dafür, dass es zur Verletzung von Menschenrechten bei der Arbeit kommt. Auf der Onlineplattform textile-incidents.info dokumentieren NGOs wie INKOTA, Südwind, FEMNET und hejsupport seit 2024 Risiko-Fälle im Bereich Arbeitsrechte und Umwelt innerhalb der globalen Lieferkette von Bekleidung, Textilien und Schuhen. Dabei ist festzustellen, dass bestehende Einkaufpraktiken nach wie vor zur Missachtung von internationalem und nationalem Recht führen: Unter anderem werden die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlung eingeschränkt und die Arbeiter*innen leisten massive Überstunden bei einem Lohn, der nicht zum Leben reicht.

Miese Arbeitsbedingungen für die schnelle Mode direkt nach Hause geliefert

Ultra-Fast-Fashion, wie Shein, Temu, H&M und Zalando, verschärfen diese Situation noch. Das Geschäftsmodell stimuliert die Wegwerfmentalität und erhöht das Müllaufkommen noch mehr. Von den jährlich 12 Mio. Tonnen Textilien auf dem EU-Markt werden nach Schätzungen 4 bis 9 Prozent aller Textilprodukte in Europa direkt zerstört, ohne jemals genutzt worden zu sein, das entspricht etwa 594.000 Tonnen jährlich. Algorithmen erhöhen Online-Bestellungen, die teilweise 75-Stunden-Wochen für Näher*innen bedeuten und zudem tonnenweise Waren für den Luftfrachtverkehr auslösen. (Reportage zu Shein, public eye, November 2021). Selbst Unternehmen des stationären Einzelhandels beklagen das online Ultra-Fast-Geschäftsmodell, durch das Fast-Fashion-Marken wie Zara, H&M und etablierte Online-Händler wie Otto und Zalando, trotz Gewinnen, massiv unter Druck stehen.

Gesetzliche Vorgaben zeigen Wirkung

Die Gesetze zu Sorgfaltspflichten in Deutschland und der EU sowie die EU-Textilstrategie (2022) adressieren die strukturellen Risiken im Sektor, zum Beispiel mit der Erweiterten Herstellerverantwortung (EPR, extended producer responsibility) und der Ökodesign-Verordnung (ESPR, Ecodesign for Sustainable Products Regulation) und den Richtlinien zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt (CSDDD, Corporate Sustainability Due Diligence Directive) sowie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD, Corporate Sustainability Reporting Directive). Gerade das deutsche Lieferkettengesetz (LkSG), für das sich breite Teile der Gesellschaft und die Initiative Lieferkettengesetz eingesetzt haben, erzielt bereits zwei Jahre nach seinem Inkrafttreten Wirkung: Unternehmen haben begonnen, Risiken zu erkennen und abzustellen.

Das Bündnis für nachhaltige Textilien – mit gutem Willen am Start

Noch vor der gesetzlichen Regulierung von Sorgfaltspflichten ist vor 10 Jahren das Bündnis für nachhaltige Textilen (BNT) gestartet, um verbindlich, wenn auch freiwillig, den risikobasierten Ansatz von Sorgfaltspflichten im Sinne der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umzusetzen. Da die unmittelbare Wirkung in den Produktionsländern überschaubar blieb, wurde noch vor dem Jahrestag des BNT 2024 der Fokus auf die Umsetzung vor Ort und die Wirkung zu den Themen Einkaufspraktiken und existenzsichernde Löhne, Beschwerde und Abhilfe, Umwelt und Geschlechtergerechtigkeit gelegt, insbesondere durch die Stärkung von Rechteinhabenden, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft. Gemeinsam mit Svenja Schulze, der damaligen Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, unterzeichneten Unternehmen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft eine entsprechende Absichtserklärung. Eine besondere Rolle spielt in dem Zusammenhang meaningful stakeholder engagement, also sinnvolles Engagement mit Gewerkschaften, NGOs und Betroffenen, das über einen reinen Dialog hinausgeht und zu konkreten Verbesserungen in den Produktionsländern führen soll. Der Steuerungskreis des BNT beschloss zudem, Wirkung mit Indikatoren zu den Fokusthemen konkret zu messen. Richtiger Ansatz und richtiger Beschluss.

Nachhaltigkeit bedeutet: Segel setzen, statt das Fähnchen in den Wind zu halten

Im derzeitigen gesellschaftlichen Diskurs befürworten einige Akteure jedoch lautstark die Abkehr von der EU-Textilstrategie und dem Green Deal. Rückschritte jeglicher Art hätten aber zur Folge, dass Arbeiter*innen weiterhin den Missständen am Arbeitsplatz und in ihren Gemeinden ausgesetzt sind. Ein Geschäftsmodell, das arbeitsrechtliche oder ökologische Risiken billigend in Kauf nimmt, würde fortgesetzt.

Auch Teile des BNT stellen das Segel in den neuen Wind: Der risikobasierte Ansatz ist scheinbar passé: Wirkung ja, aber nicht messen; Wirkung erzielen wollen, aber nicht berichten. Glaubwürdigkeit in Sachen Nachhaltigkeit und Sorgfaltspflicht erhält eine Initiative jedoch dadurch, sich messen zu lassen und transparent zu sein. Dieser Ansatz macht den klaren Unterschied. Die Probleme und Risiken werden nicht geringer, wenn an überkommenen Geschäftsmodellen festgehalten wird und Risiken in der Lieferkette bei Klima, Umwelt und Menschenrechten depriorisiert werden. Gerade in der Lieferkette von Bekleidung, Textilien, Leder und Schuhen ist ein besseres und überlebensfähiges – ein nachhaltiges – Geschäftsmodell überfällig. Wohin der Trend im BNT geht, hängt vom politischen Willen und den Entscheidungen innerhalb der Unternehmen ab.