(CorA-News Juli 2021) – Vom 26. bis 30. Oktober 2020 tagte die zwischenstaatliche Arbeitsgruppe zur Formulierung eines verbindlichen Abkommens zu Wirtschaft und Menschenrechten zum sechsten Mal im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN) in Genf. Grundlage der Diskussionen war der im August 2020 vom ecuadorianischen Vorsitzenden der Arbeitsgruppe vorgestellte zweite überarbeitete Abkommensentwurf („Second Revised Draft“). Die Tagung war überschattet von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. Von den 66 teilnehmenden Staaten erklärten viele, sie hätten aufgrund der COVID-19-Einschränkungen keine abgestimmten Regierungspositionen vorbereiten können. Es fanden daher keine zwischenstaatlichen Verhandlungen statt, sondern lediglich Diskussionen über den Abkommensentwurf. Wesentliche Streitpunkte, u. a. zur Frage des Anwendungsbereichs des Abkommens und den Haftungsregeln, wurden wieder aufgebracht und konnten während der Tagung nicht beigelegt werden.

Die Treaty Alliance Deutschland hat sich in schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen an der Tagung beteiligt. Der jüngste Abkommensentwurf kommt den von der EU-Kommission und der Bundesregierung geäußerten Bedenken weit entgegen und hat gegenüber seiner Vorgängerversionen an Stringenz und Klarheit gewonnen. Dabei geht der Entwurf in vielen Aspekten über den Regierungsvorschlag für ein Lieferkettengesetz und den Vorschlag des EU-Parlaments hinaus. Im aktuellen Entwurf wird klargestellt, dass die Pflichten nicht nur für große transnational tätige, sondern für alle – auch für lokale und staatseigene – Unternehmen gelten müssen. Wie auf EU-Ebene und in Deutschland ist vorgesehen, dass die Missachtung von Sorgfaltspflichten durch Unternehmen zu Sanktionen führen muss. Allerdings wird hier – anders als im deutschen Lieferkettengesetz – die Möglichkeit der zivilrechtlichen Haftung nicht ausgeschlossen. Außerdem soll die Sorgfaltspflicht für die gesamte Lieferkette gelten. Auch in Sachen einer eigenständigen umweltbezogenen Sorgfaltspflicht und Berücksichtigung der Geschlechtergerechtigkeit geht der UN-Treaty-Entwurf über das deutsche Gesetz und die Vorschläge für eine EU-Regelung hinaus.

Zudem enthält der UN-Treaty-Entwurf eine Reihe von Regelungen wie eine verstärkte justizielle Zusammenarbeit der Staaten, die Wahl des Gerichtsstands und des anzuwendenden Rechts, sowie die Möglichkeit der Beweislastumkehr, die den Zugang zu Recht für Betroffene wesentlich verbessern könnten. Schließlich sieht der Entwurf Regelungen vor, dem Schutz der Menschenrechte Vorrang gegenüber den Regelungen aus Investitionsschutz- und Handelsabkommen zu gewähren.

Die Veröffentlichung eines weiteren überarbeiteten dritten UN-Treaty-Entwurfs wird für August 2021 erwartet.

Seit in Deutschland im Juni 2020 die Entscheidung zu einem Lieferkettengesetz gefallen ist und die EU-Kommission eine EU-Regulierung angekündigt hat, haben die Bundesregierung und die EU ihre Position hinsichtlich des UN-Treaty-Prozesses deutlich verändert.

Die Bundesregierung unterstützt den Prozess nun zwar offiziell, brachte sich aber – anders als z. B. Frankreich und Spanien – bislang nicht mit eigenen Stellungnahmen ein, sondern ließ sich durch den Europäischen Auswärtigen Dienst vertreten. Obwohl der zweite Entwurf des Abkommens schon seit August 2020 vorliegt, hat die EU bis heute allerdings keine eigene Analyse vorgelegt, noch ist sie der Einladung der UN-Arbeitsgruppe zur Kommentierung des Entwurfs gefolgt. Die Bundesregierung zeigte sich entsprechend unzufrieden über die unzureichende EU-interne Auseinandersetzung mit und Koordinierung durch den Europäischen Auswärtigen Dienst zum Treaty-Prozess. Bei einer Diskussion zum UN-Treaty im Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AWZ) am 5. Mai 2021 bekräftigte die Bundesregierung ihre Unterstützung für den Prozess, ließ jedoch weiterhin offen, ob sie sich für ein Verhandlungsmandat der EU ausspricht.

Nachdem das EU-Parlament in mehreren Resolutionen die EU-Kommission zu einer aktiven Beteiligung am Prozess aufgefordert hatte, reagierte schließlich der EU-Rat offiziell darauf. In seinen Rats-Schlussfolgerungen vom 2. Dezember 2020 und vom 22. Februar 2021 erklärte der EU-Rat, sich künftig aktiv an den Beratungen über einen UN-Treaty zu beteiligen.

Ob die EU und ihre Mitgliedstaaten sich bis zur nächsten Tagung vom 25. bis 29. Oktober 2021 endlich zu einem Verhandlungsmandat für den Prozess durchringen werden, hängt stark vom Ambitionsniveau der angekündigten europäischen Gesetzesinitiative ab. Eine aktive Beteiligung der EU wird eine Signalwirkung auf andere bislang unbeteiligte Industrienationen haben und die nötige politische „Zugkraft“ des Prozesses erhöhen.

Karolin Seitz (Global Policy Forum)