Fünfte Verhandlungsrunde über den UN-Treaty in Genf
Zwischen dem 14. und 18. Oktober 2019 tagte die zwischenstaatliche Arbeitsgruppe zur Erarbeitung eines verbindlichen internationalen Abkommens zu Wirtschaft und Menschenrechten („Treaty“) zum fünften Mal im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN) in Genf. Rund 90 Staaten beteiligten sich an den Verhandlungen über einen im Juli 2019 vom ecuadorianischen Vorsitzenden der Arbeitsgruppe veröffentlichten überarbeiteten Abkommensentwurf („Revised Draft“).
Die Treaty Alliance Deutschland hat in ihrer Stellungnahme den neuen Abkommensentwurf begrüßt. Er präzisiert den im Juli 2018 veröffentlichten Entwurf („Zero Draft“) und hat in vielen Punkten an Stringenz und Klarheit gewonnen. Er orientiert sich explizit und konzeptionell eng an den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und dem Konzept der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten. Außer-dem legt er einen besonderen Fokus auf einen verbesserten Zugang zu Recht und Abhilfe für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen und stärkt damit die dritte Säule der UN-Leitprinzipien.
Auch die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedsländer waren – anders als noch im Frühjahr 2019 an-gekündigt – bei den Verhandlungen dabei. Schließlich war der neue Entwurf auf die Anliegen der EU eingegangen. So beschränkt sich der Anwendungsbereich des Abkommensentwurfs nun nicht mehr auf transnationale Konzerne oder Geschäfte mit transnationalem Charakter, sondern soll für alle Unternehmen gelten. Er enthält auch keine direkten völkerrechtlichen Unternehmenspflichten mehr, sondern nimmt allein Staaten in die Pflicht, Unternehmen zu regulieren.
Da die EU jedoch noch immer kein Verhandlungsmandat für den Prozess hat, begnügte sich der EU-Vertreter mit einer allgemeinen Stellungnahme und ein paar Verständnisfragen. Frankreich, Spanien und Belgien meldeten sich zu einzelnen Artikeln zu Wort. Die Bundesregierung äußerte sich wie schon in den vergangenen vier Tagungen der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe nicht. Sie begründet ihre Zurückhaltung damit, dem Ergebnis des NAP-Monitorings nicht vorweggreifen zu wollen, indem sie sich an einem internationalen Prozess zur Unternehmensregulierung beteiligt.
Viele andere der anwesenden Staaten brachten dagegen konkrete Formulierungsvorschläge und Änderungswünsche am vorliegenden Abkommensentwurf ein. Einige Staaten forderten beispielsweise, dass sich die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht nicht nur auf eigene Geschäftstätigkeiten der Unternehmen und „vertragliche Beziehungen“, sondern – wie in den UN-Leitprinzipien angelegt – auf „Geschäftsbeziehungen“ und damit prinzipiell auf die gesamte Wertschöpfungskette erstrecken sollten. Bis auf wenige Staaten begrüßten die Anwesenden den erweiterten Anwendungsbereich des Abkommensentwurfs auf alle Unternehmen. Des Weiteren wurde von einigen Staaten angemerkt, dass Artikel 5 mit Regelungen zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen und Artikel 6 zur Haftung in Fällen von Menschenrechtsverletzungen noch besser aufeinander abgestimmt werden müssten. Auch das Verhältnis des Abkommens zu anderen völkerrechtlichen Verträgen, beispielsweise zu Handels- und Investitionsabkommen, sollte noch weiter geklärt werden.
Von einigen Staatenvertreterinnen und –vertretern wurde der Wunsch geäußert, dass sich die weiteren Verhandlungen hinsichtlich ihrer Intensität und Geschwindigkeit erhöhen sollten. Daher wurde am Ende der fünften Verhandlungsrunde beschlossen, dass es bis zur nächsten Runde 2020 weitere regionale und nationale Konsultationen geben soll. Bis Juni 2020 wird der ecuadorianische Vorsitzende einen zweiten überarbeiteten Abkommensentwurf vorlegen.
Ein Streitpunkt betraf schließlich noch die weitere Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen und anderer Akteure am Prozess. Während Brasilien und China forderten, dass die weiteren Verhandlungen ausschließlich von Staaten, d. h. ohne Beteiligung von Zivilgesellschaft und anderen Akteuren, abzuhalten seien, widersprachen Ägypten, Aserbaidschan, Kuba und auch die EU dieser Forderung vehement und hoben die hilfreiche Expertise und Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen hervor.
Schließlich einigten sich die anwesenden Staaten darauf, dass die sechste Tagung der Arbeitsgruppe 2020 sowohl staatlich geführte direkte substanzielle zwischenstaatliche Verhandlungen als auch die Präsentation von Meinungen weiterer Akteure ermöglichen solle.
Anders als 2018 unterstütze die EU in diesem Jahr die Vorschläge des ecuadorianischen Vorsitzenden der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe für den weiteren Verhandlungsverlauf. Das insgesamt kooperativere Verhalten der EU während der fünften Tagung ist zu begrüßen. Nun müssen sich die EU und die Bundesregierung aber endlich auch detailliert zu dem Abkommensentwurf („Revised Draft“) äußern. Bis Februar 2020 haben sie die Gelegenheit, ihre Kommentierung und konkreten Formulierungsvorschläge einzureichen. Damit die EU sich von nun an auch aktiv an dem weiteren Prozess beteiligen kann, müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten schleunigst die Kompetenzverteilung zwischen EU und Nationalstaaten klären und die Mitgliedstaaten der EU schnellstens ein Verhandlungsmandat für die Vertragsabschnitte er-teilen, für die die Kommission zuständig ist.
Verhandlungsbeginn über Multilateralen Investitionsschiedsgerichtshof in Wien
Parallel zu den Verhandlungen im UN-Menschenrechtsrat trafen sich vom 14. bis 18. Oktober in Wien in einem anderen Gremium der Vereinten Nationen Staatenvertreter*innen, um über einen Multilateralen Investitionsschiedsgerichtshof (MIC) zu verhandeln. Während es in Genf darum geht, Menschenrechtsregeln für Unternehmen zu erarbeiten, sind die Verhandlungen innerhalb der Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht (UNCITRAL) darauf ausgerichtet, Sonderrechte von transnationalen Konzernen noch auszuweiten. Die Doppelmoral der EU zeigt sich daran, dass sie den Prozess in Genf immer wieder blockiert hat und sich nach wie vor inhaltlich nicht beteiligt, während sie den Prozess in Wien sogar angestoßen hat.
Bereits im Rahmen der Verhandlungen von TTIP und CETA hat die EU-Kommission angekündigt, die Einrichtung eines permanenten multilateralen Schiedsgerichtshofs anzustreben. Dieser soll die bisherigen ad-hoc-Schiedsgerichte ersetzen, vor denen Investoren Staaten auf Schadensersatz verklagen können. Die Sondergerichtsbarkeit für internationale Investoren (ISDS) ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Sie ermöglicht transnationalen Unternehmen, einen Staat wegen eines Gesetzes oder eines Verwaltungshandelns auf immense Entschädigungssummen zu verklagen, selbst wenn das Handeln des betreffenden Staates demokratisch legitimiert ist und dem Schutz des Allgemeinwohls dient. Darüber hinaus kann allein schon die Androhung eines solchen Verfahrens dazu führen, dass solche Gesetze gar nicht erst verabschiedet werden („regulatory chill“). Zudem bevorteilt das System ausländische gegenüber inländischen Investoren. Wesentliche Elemente eines Rechtsstaats (Gleichheit, Einheitlichkeit) werden durch das Bestehen von Privilegien und Sondergerichten ausgehebelt.
Der nun von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag, der im Rahmen von UNCITRAL erörtert wird, ändert nichts an den grundsätzlichen Fehlern des bestehenden, stark umstrittenen ISDS-Systems, sondern versucht lediglich, einige verfahrensrechtliche Aspekte zu verbessern. Denn der Vorschlag der Kommission sieht weiterhin vor, dass die Verfahren auf Basis der bestehenden (und zukünftigen) bilateralen Ab-kommen und Verträge entschieden werden. Somit bleibt das zentrale Problem von ISDS bestehen, nämlich dass ausländischen Investoren einseitig weitreichende Klagerechte eingeräumt werden, ohne dass diesen Rechten irgendwelche Pflichten gegenüberstünden – z. B. bei der Beachtung der Menschenrechte oder dem Schutz von Umwelt und Gesundheit.
Inhaltlich ist bei der Sitzung in Wien noch nicht viel passiert. In den ersten anderthalb Tagen konnten die beteiligten Staaten sich nicht auf die Tagesordnung einigen und diskutierten darüber, welche Reformoptionen zuerst besprochen werden sollten. Der Vorsitzende musste schließlich eine Entscheidung über die Reihenfolge treffen. So wurde am Dienstag die Einrichtung eines Beratungszentrums und am Mittwoch die Schaffung eines Codes of Conduct diskutiert. Die wirklich inhaltlichen Fragen eines multilateralen Investitionsgerichtshofs werden erst in der nächsten Sitzung im Januar verhandelt.
Die Kampagne „Menschenrechte schützen, Konzernklagen stoppen“, an der sich auch das CorA-Netzwerk beteiligt, fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, sich aus Handels- und Investitionsabkommen zurückzuziehen, die Konzernklagerechte enthalten, und setzt sich gegen einen multilateralen Investitionsgerichtshof ein. Außerdem fordert sie, dass rechtliche Möglichkeiten geschaffen werden, um Konzerne für Menschenrechtsverstöße zur Rechenschaft zu ziehen – auf nationaler, EU-Ebene und auf Ebene der Vereinten Nationen. Die entsprechende Petition haben bereits mehr als 650.000 Menschen unterzeichnet.

Karolin Seitz (Global Policy Forum) und Lia Polotzek (BUND)